Lebenslanger Knast ist Tod auf Raten

■ Öffentliche Anhörung zum Unsinn deutscher Strafjustiz

Bonn (taz) – „Die lebenslange Freiheitsstrafe bei Mord muß abgeschafft werden.“ Mit dieser Hauptforderung endete am Wochenende in Bonn eine öffentliche Anhörung des Komitees für Grundrechte und Demokratie, bei der sich zahlreiche BürgerrechtlerInnen erneut gegen die schwerste Sanktion des bundesdeutschen Strafgesetzbuches aussprachen. „Lebenslang“, von vielen auch als „Tod auf Raten“ bezeichnet, bedeutet für einen verurteilten Mörder nicht etwa eine automatische Entlassung nach 15 Jahren Haft, sondern die Strafe kann bei Vorliegen sogenannter „schwerer Schuld“ jahrzehntelang bis zum Tod vollstreckt werden.

Eine solche, zuletzt noch 1992 vom Bundesverfassungsgericht abgesegnete unbegrenzte Strafe, verstößt nach Ansicht des Grundrechtskomitees in eklatanter Weise gegen die Grund- und Menschenrechte: „Sie ist gesetzliches Unrecht schlimmsten Maßes“, heißt es in der gestern veröffentlichten Abschlußerklärung. Schon seit langem ziehen Kenner des Strafvollzugs die positive Wirkung übertriebener Langzeitstrafen für begangenes Unrecht in Zweifel. „Das Gefängnis beschädigt, ja vernichtet psychische, soziale und wirtschaftliche Existenz“, resümiert das Grundrechts-Komitee. Der vom staatlichen Gewaltmonopol zum Unmenschen stigmatisierte Mörder werde schließlich von der Gesellschaft weiter entfremdet, statt auf ein „Leben in sozialer Verantwortung“ vorbereitet. – Unterdessen berufen sich die Befürworter der lebenslangen Freiheitsstrafe beim Mord immer wieder hartnäckig auf den Zweck der Strafe, vor allem auf die angeblich abschreckende Wirkung in der Bevölkerung. Die sei „unzweifelhaft“, meinte noch kürzlich CDU- Bundesgeschäftsführer Hans-Joachim Reck. Dessen „Schnellschuß“ wird allerdings von sämtlichen wissenschaftlichen Studien eindeutig widerlegt: „Eine abschreckende Wirkung der lebenslänglichen Freiheitsstrafe für den potentiellen Täterkreis ist nicht festzustellen, weil ein großer Teil der Täter aus einer Konfliktsituation heraus handelt“, heißt es etwa in den Empfehlungen der Niedersächsischen Kommission zur Reform des Strafrechts.

Für einige der Menschenrechtler liegen daher die Hintergründe für das überzogene Strafbedürfnis des Staates woanders: Durch die „Opferung“ einzelner Straftäter, so glaubt der Kriminologe Wolfgang Stangl, werde dem Bürger letztlich ein Sicherheitsgefühl vorgegaukelt, das „zur Verstärkung der staatlichen Herrschaft“ notwendig sei. Für die Abschaffung der lebenslangen Freiheitsstrafe jedenfalls stehen die Karten derzeit schlecht: Das Wahljahr 1994 verspricht dem verängstigten Bürger ein Mehr an Innerer Sicherheit. Hasso Suliak