Konzerte am Wochende

Ivo Pogorelich in der Musikhalle. Die Meinungen waren gespalten: Einer Zuschauerin kam „der Mussorgsky zu dahingespielt“ vor, anderen waren die knapp zwei Stunden „viel zu wenig“. Doch gebannt lauschten sie dem perfekten Spiel des 36jährigen Pianisten am Sonntag alle. Die wirklichen wie die vermeintlichen Kenner unter ihnen warteten zudem gespannt auf sein „dampfmaschinenartiges“ Schnauben. Als der schwere polnische Ochsenkarren aus Mussorgskys Bilder einer Ausstellung vorgetragen wurde, hatte man dann auch das Gefühl, Pogorelich selbst würde mit daran ziehen, so schwer atmet der Belgrader. Wie im Fluge verging eine knappe Stunde brillant gespielter russischer Magie, die allerdings gelegentlich im Ausdruck zu klinisch geriet. Pogorelich bedankte sich mit eingefrorener Miene.

Chopin stand nach der Pause auf dem Programm, die meisten schienen darauf sehnsüchtig gewartet zu haben. Nur leider ist die Prélude cis-Moll op. 45 nicht aus den berühmten gassenhauerischen Präludien op. 28. Logisch für viele, nicht für alle, auch nicht am Sonntag abend. In die Gesichtern mancher Zuschauer kroch Ratlosigkeit - erst recht beim Scherzo h-Moll op. 20, ein nicht eben leichtes Werk, das Chopin während niedergeschlagener Stimmung geschrieben hatte: 1831 war sein Klavierkonzert e-Moll gerade vom Publikum abgelehnt worden. So gab es am Ende zwar langanhaltenden Applaus, aber auch schnell hinaus eilende Gäste. Am Pianisten lag es nicht.

ach

Melvins in der Markthalle. Was genau Hamburgs ehernen Männerbund Eisenvater dazu bewog, sich ins Vorprogramm dieser Band zu bugsieren, bleibt unklar. Wohl suggerieren einige Elemente wie Schwere und Zeitverständnis im Song Verwandtschaft, doch was in beiden Fällen den Platz des zertrümmerten Klischees einnimmt, könnte unterschiedlicher kaum sein. Eisenvater spielten wieder einmal das lustige Spiel „wer sich zuerst bewegt, hat verloren“. Dabei könnte die ausgeklügelt-eindringliche Grenzbereichsmusik ein wenig Leben gut vertragen.

Daß es eine Vorgruppe gab, war allerdings wenig später ohnehin vergessen. Ein unangenehmer Mensch mit Melone, ein madenweißer, bis auf die Unterhose entkleideter Spaghettihaar-Hippie sowie ein kleiner Dicker mit explodiertem Vogelnest auf dem Kopf betraten die Bühne. Eine zarte 70er-Ballade setzte ein, in aller mitsummbaren Schönheit gebrochen durch King Buzzos teils schneidende Phrasierung und Dale Covers dezentes, aber tonnenschweres Schlagwerken. Auch wenn der Donner schon zu riechen war - als er dann kam, war es wie die Sintflut nach 100 Jahren Dürre.

90 Minuten später entließ das infernalische Trio eine nur mühsam den Aggregatszustand wahrende Menge in deren lächerliches Rest-Leben. Ohne alberne Rituale wie Zugabe, Gruß oder unnötige Pause trieben die Melvins ihr nicht zu überbietendes Leise-Laut-Spiel, ihren gedehnten, komprimierten und unnachahmlich ironisierten Rock mit solch selbstverständlicher Coolness und begeistert aufgesogener Lautstärke ins Mark, daß sich allerorten Bewußtseinsveränderungen einstellten. Eine einmalige Band, ein zeitloser Bund. Superlative.

uschi steiner