■ American Football und die Berlin Adler Girls
: „Wir sind doch nicht aus Watte!“

Berlin (taz) – Frauen und American Football? Da denkt natürlich jede/r erst einmal an storchbeinige Cheerleader, die akrobatisch wie ein 70er-Jahre-Fernsehballett ihre Nummern präsentieren. Aber daß es auch Frauen auf dem Feld gibt, die sich gegenseitig die Beine wegziehen oder mit klatschenden Helmen ineinandersausen, ist den meisten genauso fremd wie ein Hund auf einem Fahrrad. Selbst in den USA, wo der Sport mit dem Lederei fast noch populärer ist als McDonald's Hamburger, gibt es keine Liga, das heißt keinen geregelten Meisterschaftsbetrieb im Frauenfootball.

In dieser Hinsicht ist Deutschland weltweit einmalig. Und in Berlin fing alles an: Die ersten deutschen Footballspielerinnen, die einen Platz betraten, waren die Adler Girls. Glaubt man Birgit Gonser (27), seit 1991 Managerin der Berliner Football-Ladys, dann war der Initiator des Damenfootballs ausgerechnet ein Mann; und zwar Horst Santow, ehemaliger Spieler der Berlin Adler. Vor acht Jahren trainierte er die ersten Frauen. Mochte er das zunächst vielleicht nur aus Jux getan haben, so wurden doch schon bald Nägel mit Köpfen gemacht: Am 1. 10. 86 wurde das Damen-Team in den Verein der Berlin Adler aufgenommen. Die ersten Frauen mußten noch mühsam angeworben werden, doch mittlerweile verfügt die Mannschaft, die wahrlich ein bunt gemischter Weiberhaufen ist, über 36 Spielerinnen. Aufgenommen wurde jede, ob Hausfrau oder Studentin, vorausgesetzt, sie war sportlich ambitioniert. Küken des Teams ist eine 14jährige Schülerin, die Älteste ist Tierärztin und 28 Jahre alt.

Die Berlin Adler Girls betreiben American Football als Leistungssport. Sie spielen unter den selben Regeln wie die Männerteams, und kämpfen bundesweit auf Meisterschaftsebene um einen Pokal, den Ladies Bowl. Die Benennung der Meisterschaft bereitete jedoch einige Probleme: Der Deutsche Footballverband wehrt sich derzeit noch mit Händen und Füßen gegen den Begriff „Bundesliga“ des Damenfootball. Ob man dort eine Imageschädigung der Männerligen befürchtet? An konkurrierenden Mannschaften mangelt es den Frauen mittlerweile nicht mehr: Erstaunlicherweise kämpfen zur Zeit bereits zehn spielfähige Damenmannschaften um den Meistertitel, im nächsten Jahr kann man sogar damit rechnen, daß sich ihre Zahl verdoppelt. In der kommenden Saison, da sind sich die Adler Girls einig, wird der Pokal nach Berlin kommen. Das Gerücht, daß Footballspielerinnen grobschlächtig und unförmig sind, hält sich hartnäckig. Zugegeben: In ihrer Montur sehen sie nicht gerade graziös aus. Der Schulterschutz macht ein Kreuz, so breit wie ein Kleiderschrank, der Helm verwandelt den Kopf in einen Ballon, der Hals verschwindet völlig, und die wattierten Hosen lassen die Schenkel eher prächtig aussehen. Unter manch einer Ausrüstung steckt allerdings eine Frau, die auch den gängigen Schönheitsidealen entspricht. Die Defense- und Linespielerinnen sind natürlich ein bißchen größer (1,85) und dicker (93 Kilo) als die anderen. Sie sind es, die während des Matches die Gegner abblocken oder die Werferin des eigenen Teams schützen. Zu diesem Zweck müssen sie hin und wieder ordentlich zulangen. Die Werferin des Teams (Quaterback) und die Fängerin (Wide Receiver), die außen am Spielfeldrand entlangläuft, um die Pässe zu fangen, müssen vor allem schnell sein und dürfen daher nicht soviel wiegen. Die leichteste Spielerin ist ein Floh und bringt die Waage mit nur 48 Kilo kaum zum Ausschlag.

Von ihren männlichen Vereinskollegen werden die Girls eher belächelt. Selbst im Vereinsjournal der Adler werden sie ein bißchen schäbig präsentiert. Mannschaftsaufstellung und Teamfoto rangieren auf den letzten Seiten, irgendwo zwischen der Schülermannschaft und dem Fan-Club „Adlerhorst“. Bei den Zuschauern sind die Damenspiele auch nicht sonderlich beliebt. In der Regel kommen nur etwa 200 ZuschauerInnen. Einmal fielen ein Pokalspiel und die Deutsche Meisterschaft der Cheerleader auf einen Tag, der von den Veranstaltern direkt als Frauenpower-Tag deklariert wurde. Mit dem Ergebnis, daß über 1.000 Zuschauer kamen, eine geradezu astronomisch hohe Zahl.

Für die Adler Girls ist der Sport Passion. Sie trainieren hart, mindestens dreimal die Woche von 20 bis 21.30 Uhr. Ob es Bindfäden regnet, stürmt oder arktische Kälte herrscht, spielt keine Rolle. „Wir sind doch nicht aus Watte“, bemerkt Birgit Gonser, „selbst bei 20 Zentimeter Schnee haben wir schon trainiert. Wo ist das Problem?“ Wenn man sie anschaut, glaubt man ihr aufs Wort. Sie ist zwar nur 1,60 Meter groß, aber sie sieht aus, als ließe sie sich durch nichts erschüttern. Auf ihrer Stirn prangt unübersehbar ein Schmiß, der gerade erst verkrustet ist. „Stell dir vor, oben war meine Nase genauso groß wie unten“, meinte sie. Wie sich später herausstellte, hatte sie sich die Verletzung nicht bei einer Keilerei auf dem Spielfeld (Fachjargon: Tackling) eingehandelt, sondern beim Hausputz.

Im Vergleich zu den Männerteams geht es bei den Mädels genauso hart, aber doch viel höflicher zu. Es kommt schon mal vor, daß sich eine Spielerin, wenn sie eine Gegnerin tackelt, spontan entschuldigt. „Das solltest du mal in der Männerliga erleben“, grinst die Gonser, „wer das macht, der würde ausgelacht!“ Männer sind sicherlich schneller dazu bereit, sich brutal auf einen Gegner zu werfen. Aber Schwerkraft ist eben nicht alles. Bernd Gottschalk, Jörg Laurisch und Sven Schneider, die Trainer des Teams, schwören jedoch auf ihre Mädchen. Es macht ihnen sogar mehr Spaß, als mit Männern zu arbeiten. Ihre einzigartige Qualität: Sie hören einfach besser zu. Taktisch stellen sie sich ohnehin ebenso geschickt an wie die Adlermänner.

Ein Privatleben ohne American Football ist für keines der Mädchen vorstellbar. Wozu auch? Wenn man nicht gerade selber spielt oder trainiert, fährt man eben irgendwo hin und schaut sich andere Spiele an. Der legendäre Trainer der Green Bay Packers, Vince Lombardi, bemerkte einmal recht treffend: „Football is a game for mad men.“ Das trifft auf Frauen wohl genauso zu. Kirsten Niemann