Wichtigstes Ziel ist das Verbot der Polygamie

■ Palästinenserinnen fordern neben dem Ende der israelischen Besatzung auch Veränderungen innerhalb der patriarchalischen palästinensischen Gesellschaft

Jerusalem (taz) – Das Mißtrauen gegenüber dem europäischen Blick auf die palästinensische Gesellschaft und vor allem die Rolle der Frauen sitzt tief. Die palästinensischen Frauen kennen die Publikationen, in denen sie entweder zu verhüllten unterdrückten Frauen oder – das ist das andere Klischee – zu selbstbewußten Kämpferinnen in der Intifada gemacht werden, durch deren Engagement sich die ganze Gesellschaftsstruktur verändert hat.

„Beides ist so nicht richtig, beide Beschreibungen sind so konturlos und so reduziert, daß wir uns darin nicht wiederfinden“, sagt Maha Abu Dayyeh Schammas vom im Ostteil Jerusalems ansässigen „Frauenzentrum für Rechtshilfe und Beratung“.

Der ausgeprägte Fundamentalismus unter den PalästinenserInnen im israelisch besetzten Gaza- Streifen habe nicht zur Folge, daß die Frauen dort selbst so denken würden, sagt Suha Hindiyeh vom „Frauenforschungszentrum“ in Ostjerusalem. „Man merkt ihnen an, daß sie sich nur ungern in diese Rolle pressen lassen. Viele von denen, die freiwillig eine Kopfbedeckung tragen, sind nur religiös, nicht fundamentalistisch. Sie sind stark, und sie haben die Zeit genutzt, die Strukturen zu analysieren und Nischen zu finden, wo sie ihren Einfluß geltend machen können. So sind sie zum Beispiel dafür zuständig, mit wem die Kinder verheiratet werden. Das ist ein Bereich, in dem sie ihren Einfluß geltend machen.“ An den patriarchalischen Strukturen in der palästinensischen Gesellschaft habe gerade die Zeit der Unterdrückung unter israelischer Besatzung nichts geändert. „Selbst wenn die Männer in den Gefängnissen saßen und die Frauen die Familie zusammenhielten, wenn also rein äußerlich die Frauen an Selbständigkeit und Freiheit gewonnen haben, so standen sie doch unter der Kontrolle der Großfamilie.“

Neben den Klischees, neben den Versuchen, der Ausländerin etwas von der palästinensischen Gesellschaft zu erklären, von deren Abstufungen und Fächerungen – „die es doch bei euch genauso gibt, bei euch ist es doch auch nicht so weit her mit einer wirklich gleichberechtigten Gesellschaft“, sagt Zahira Kamal, Koordinatorin des „Frauenaktionskomitees“ und im „Technischen Komitee für Frauenangelegenheiten“ – abgesehen davon sei das Interesse im Moment weniger auf die Analyse der Vergangenheit denn auf die Zukunft gerichtet. „Uns geht es darum, dort anzufangen, wo die anderen, wo Ihr, jetzt schon seid – und nicht bei Null“, sagt Kamal.

Sie war vor kurzem mit einer kleinen Delegation von Frauen im PLO-Hauptquartier in Tunis. Dort hat sie sich mit jener von der PLO- Führung eingesetzten Kommission auseinandergesetzt, die dabei ist, das Grundgesetz für einen künftigen autonomen Staat Palästina zu erarbeiten. Einen ersten Erfolg haben sie bereits errungen. Während in der ersten Fassung des Gesetzentwurfs zwar von der Gleichberechtigung aller Menschen die Rede war, aber jeder Hinweis fehlte, daß es auch und vor allem um die Frauen geht, wurde in die zweite Fassung bereits die Formulierung aufgenommen, daß „alle Frauen und Männer gleich“ sind.

Aber Kamal und die anderen Frauen wollen mehr. Sie wollen in jedem Artikel des neuen Gesetzes sowohl die männliche als auch die weibliche Form verwendet sehen. Sie wollen von Anfang an benannt sein, wenn es um das künftige Palästina geht. Sie sind dabei, die bestehenden Gesetze durchzuforsten und zu prüfen, welche Normen künftig in dem erhofften Staat oder autonomen Gebilde unbedingt aufzunehmen sind.

Eines der wichtigsten Ziele ist das Verbot der Polygamie und weitere Änderungen im Familien- und Erbrecht. Erzwungene Ehen sollen verboten, das Heiratsalter hinaufgesetzt werden, die Berufstätigkeit der Frauen gefördert, das Scheidungsrecht gleichberechtigt ausgestattet werden. Bis heute kann der palästinensische Mann sich ohne Angaben von Gründen von der Frau trennen. „Wenn wir diese Gesetze nicht jetzt ändern“, sagt Rabiha Diab, Präsidentin der Gesellschaft für Sozialarbeit, die mit der Fatah, der größten Organisation innerhalb der PLO, verbunden ist, „dann werden wir für die nächsten 50 Jahre nicht in der Lage sein, es zu ändern.“

Und in gewisser Weise ist erst jetzt die Zeit gekommen, in der sich wirklich mit den Bedürfnissen der Frauen auseinandergesetzt werden kann. „Unter Okkupation ist es schwer, über Freiheit zu reden und über Gleichberechtigung“, sagt Kamal. „Da sind wir zu sehr absorbiert gewesen mit anderen Problemen. Unter der Besatzung wurden Menschenrechte mit den Füßen getreten, erst jetzt können wir wirklich anfangen zu arbeiten.“

Das Engagement während der Intifada, dem Aufstand der PalästinenserInnen in den besetzten Gebieten, galt vor allem dem sozialen Bereich. Frauen haben gearbeitet im Bereich von Erziehung und Gesundheit. Haben Nischen entwickelt, in denen das weitgehend lahmgelegte Bildungs-, Gesundheits- und Erziehungswesen aufgefangen wurde. Heute wollen sie selbst in politisch und gesellschaftlich führende Positionen gelangen. Zu diesem Zweck haben sie das „Technische Komitee für Frauenangelegenheiten“ gegründet, in dem Vertreterinnen jener palästinensischen Parteien und Organisationen zusammenarbeiten, die das Friedensabkommen mit der israelischen Regierung unterstützen. „Wir sind dabei, eine Liste professioneller Frauen zusammenzustellen, damit sich die männliche Führung nicht über den Mangel an Frauen für Führungspositionen beschweren kann.“ Und natürlich kämpfen sie für eine Quote, damit die Frauen auch bei Wahlen zu einer palästinensischen Autonomieverwaltung – so sie denn stattfinden – eine reale Chance erhalten. Julia Albrecht