Sanssouci: Vorschlag
■ Metamäßige Monsterebenen: Die Melvins im Loft / Nachschlag * "Heimat" - Multimedia in der Akademie der Künste
„Playing fast is for pussybands!“ Dieser Auspruch stammt von King Buzzo aka, Sänger, Gitarrist und Großhirn der göttlichsten Band dieser Erde, den Melvins. Dieses Credo setzt die Band schon seit einiger Zeit erfolgreich und gewinnbringend in die Tat um, schmeißt sie doch einen zähen Brocken nach dem anderen vor die Füße ihrer Anhängerschaft, und, schlimmer, in die Köpfe der an dieser Band hochtheoretisch sich abarbeitenden Restbevölkerung. 1985 krachte und dampfte es in Aberdeen, Washington, gründeten King Buzzo und Dale Crover, das restliche, für die Drums zuständige Stammhirn, die Melvins. Sie versuchten ihre persönlichen Vorlieben für Kiss und Black Sabbath auf ihre Art umzusetzen und gingen – ganz wichtig – nicht nach Seattle. Dabei kamen dann sezierte und zerstörte Soundpartikel der beiden Seventies-Dinos im Melvin-Gewand heraus, im Zeitlupentempo, versteht sich. Solch profanen Dinge wie Schönheit oder Wohlklang gehörten zu einer anderen Welt. Bumm, bumm und es hat doom gemacht, metal mania verband sich mit dem grindy-, spindy-, guitar-underground. Den vorläufigen Höhepunkt stellten ihre Soloalben dar, die sich – zumindest äthetisch und stilistisch – voll und ganz an die Kiss-Soloalben anlehnten, die Gene Simmons und Co. Ende der Siebziger aufnahmen. Das ging bis zu der ultimativen Aufforderung, in die Melvins Army einzutreten, „to receive exactly what you deserve“.
Diese Alben waren die Vorspeisen zu „Lysol“, der völligen Auflösung Melvinscher Musik. Transparente Töne und ein paar sehr schwere Akkord- und Geräuschbäder brummelten vor sich hin, wurden in der Schwebe gehalten, vielleicht drei-, viermal variiert, ein Song für eine halbe Stunde. Abstraktionen in Metal und Rock, die große melvinsche virtual reality show. „Lysol“ machte die Band zu einem Konzept, einer Theorie, einem Non, das immer vor ihnen stand und sie, mein Gott ja, in metamäßige Monsterebenen hob. Der gute Ton machte daraufhin die Musik und verlangte, zumindest eine Melvinscheibe im Plattenschrank stehen zu haben, egal, wie oft die Anhörung erfolgte.
Allerdings sind die Melvins wieder zurückgekehrt, zu seltsam und fremd, zu dazwischen war es wohl auf diesem Planeten. Down to metal earth schleppen und schleichen sich die Melvins auf ihrem neuesten Album wie gewohnt dahin. Lieder wurden geschrieben, die künstlerischen Zwangsjacken aufgeschnitten, nach dem Modell eine gewissen Herrn Houdini, der als Enfesslungskünstler bekannt geworden ist.
Die Melvins sind Programm und es geht die Sage, daß man jetzt sogar nebelverhangene Tänze zu ihnen aufs Parkett legen kann. Was heute abend live ausprobiert werden sollte! Gerrit Bartels
Heute, 20.30 Uhr, Loft, Metropol, Nollendorfplatz 5,
Schöneberg.
Nachschlag„Heimat“ – Multimedia in der Akademie der Künste
Drei Monitore zum Dreieck gruppiert, zwei nach hinten versetzt, einer vorn, dahinter ein Videoscreen, die Bühne bleibt dunkel: Home is where the TV set is und „Heimat – Text extrem“ ist ein steriles Theaterstück, eine Performance mit vielen wichtigen Sätzen, die sich, soweit ich folgen konnte, nach Möglichkeit negieren: Ein sehr schön beunruhigendes Nullsummenspiel, – Text von Johannes Jansen, Regie Ulv Jakobsen, Kamera Andre Peters. Laut Vorspann besteht das Stück aus vierzehn Teilen, was ich bei der Premiere am Sonntagabend nicht nachzuprüfen vermochte, denn sie stellten sich als höchst disparat heraus und rauschen, bis zur Unkenntlichkeit kurz, immer kürzer, nach dem Gesetz des freien Falls vorbei: Zapping, immmer-immer schneller, bis am Ende – patsch – zwei Menschen (keine Froschkönige) vor dem Arrangement auftauchen. Ganz in Schwarz stehen die beiden Herren nebeneinander, werden milde angeleuchtet und besorgen mechanisch rezitierend den Schluß.
Sinnsuche erweist sich als überflüssig, denn Bedeutung und Zusammenhang konstruieren sich nach postmodernen Prinzipien von selber, so wie am Ende der hier zur Ansicht empfohlenen Vorstellung – was'n Wunder – zwei ganze Menschen konstruiert worden sind. Das Ganze beginnt fragmentarisch: Eine Stimme aus dem Off zitiert Regieanweisungen, denen zufolge man sich das Restaurant Borchardt vorzustellen hat. Im linken hinteren Monitor erscheint ein Auge, genauer gesagt das rechte Auge von Johannes Jansen, im rechten hinteren Monitor öffnet sich kurz darauf das dazugehörige linke; sie blinzeln asynchron, während auf dem vorderen Monitor des Autors Mund einen Text zu sprechen beginnt. Was auf den Schirmen im folgenden auch immer als Figur auf den Bildschirmen erscheint – von Stille wird nur geredet, sie tritt nicht ein; die Existenz des Endlostexts, der Reste von Geschichten und ziemlich absurde Gesprächsfetzen sowie verschiedentlich verstümmelte Zitate enthält, ist so ziemlich das einzige, dessen man sicher sein kann.
Zum Trost steht theoretisch auch noch „Heimat“ zur Verfügung, und zwar in Form all der Orte, die der Text entwirft – die wenigstens können aller Erfahrung nach weniger einfach verzischen als irgendwelche Wörter oder Menschlein. In „Heimat“ sind die Orte jedoch ebenso disparat wie die Textteile, „ein beliebiger Wald“, „eine eindimensionale Landschaft“, um nur einige zu nennen, oder „eine Gegend, in der das Gestammel uns nicht mehr braucht, weil es verstummt ist“. Hier endet die Beruhigung durch Beständigkeit, denn es ist „eine Landschaft, die sich niederläßt auf unseren Resten. Eine Natur, auf die zu hoffen Untergang einschließt und von der es kein Bild gibt, „nur eine Ahnung in den billigen Zimmern unter der Hauptstraße.“ Friederike Freier
Nächste Vorstellungen am 9., 15., 23, und 31.3. sowie am 7., 15. und 24.4., 20 Uhr in der Akademie der Künste, Hanseatenweg 10, Tiergarten
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