■ Die Diskussion mit den Rechtsintellektuellen ist nötig
: Offen und offensiv

Was tun gegen rechtsaußen? Diese Frage bewegt nicht nur die Linke, sondern die gesamte demokratische Öffentlichkeit. Allerdings scheiden sich bei der Beantwortung der Frage die Geister. Während die einen für eine offensive inhaltliche Auseinandersetzung mit Rechtsextremisten plädieren, lehnen andere unter Verweis auf die Gefahr einer Aufwertung derselben eine solche Diskussion ab. Der Hinweis auf mögliche kontraproduktive Wirkungen eines „naiven“ Sich-Einlassens mit Rechtsextremisten ist nicht von der Hand zu weisen. Doch dies unterstreicht nur die Bedeutung einer sorgfältigen Vorbereitung unter Berücksichtigung des „Spielfelds“. Dabei lassen sich einige gelungene Beispiele anführen wie etwa das ZDF-Streitgespräch zwischen Peter Glotz und Jörg Haider oder die Diskussion von Claus Leggewie und Helmuth Karasek mit Franz Schönhuber im Privatfernsehen. Es ist also durchaus möglich, die Rechtsextremisten argumentativ in die Enge zu treiben.

Daß gelungene Beispiele bisher so schwer zu finden sind, ist auf die Dominanz eines Reaktionsmusters zurückzuführen, das sich auf den Nenner „Berührungsangst plus Denkverbot“ bringen läßt. Egal ob es sich nun um die Reaktion auf den Film „Beruf: Neonazi“ von Winfried Bonengel handelt, der durch das nicht rechtskräftige Verbot des Frankfurter Amtsgerichts mehr Aufmerksamkeit erregen konnte als ihm gebührt, oder um die denunziatorisch wirkende Auflistung von linken Schreibern in rechten oder rechtsextremen Publikationsorganen (wie beispielsweise Arno Klönne, Eike Hennig, Peter Glotz in Astrid Langes Taschenbuch „Was die Rechten lesen“) — stets geht es im Grunde darum, die heikle und daher immer vom Mißerfolg bedrohte Auseinandersetzung mit Rechtsaußen zu tabuisieren und zu verhindern.

Wenn es auch kein Patentrezept im Umgang mit dem Rechtsextremismus gibt, so sind doch einige Grundregeln zu beachten. Zunächst reicht es nicht aus, gute Absichten zu haben, denn selbst gutgemeinte Aufklärung kann in Gegenaufklärung umschlagen. Ein Beispiel aus jüngster Zeit: Eigentlich wäre es nur eine Zwei-Zeilen- Meldung wert gewesen, und doch überbietet sich die gesamte Presse in ausführlicher Berichterstattung: Einträchtig präsentieren Frankfurter Rundschau und Frankfurter Allgemeine Zeitung, gleich mehrfach die Zeit, aber ebenfalls der Rheinische Merkur und konkret in langen Artikeln ein kleines neurechtes Blättchen, nur weil dieses seit Januar 1994 von monatlicher auf wöchentliche Erscheinungsweise umstellt.

Angesichts eines solchen Medienrummels kann es nicht überraschen, wenn die Strategie der „Jungen Freiheit“ (JF) aufgeht und sie einen Sprung voran bei der Auflagenhöhe macht. Die Ausführlichkeit der Berichterstattung steht in krassem Kontrast zur feierlich bekundeten Absicht, Verbreitungsgrad und Einfluß der Rechtsintellektuellen einzudämmen. Kaum ein Bericht konnte es sich verkneifen, auf die angeblich so geschickte Taktik der JF-Redakteure hinzuweisen, auch Linke zu interviewen. Viel zusammengekommen ist nicht: Die Personen lassen sich an den Fingern einer Hand abzählen (Eike Hennig, ich, und jetzt auch Wolfgang Templin).

Hinter dieser Anprangerung steckt die bislang unbewiesene These, erst die Interviews hätten die „Junge Freiheit“ hoffähig gemacht. Ist es nicht – von der Medien- und von der Wirkungsforschung her betrachtet – viel wahrscheinlicher, daß durch die breite Aufmerksamkeit, die der JF gewidmet wird, in einem ganz anderen Ausmaß zur Aufwertung und Verbreitung dieser kleinen Zeitschrift beigetragen wird? Ich plädiere keineswegs für ein Totschweigen, aber für eine dem Ereignis angemessene Berichterstattung.

Selbst wenn die strengen Maßstäbe des französischen Aufrufs zur Wachsamkeit (vom letzten Herbst) angelegt werden, lassen sich Interviews, die entsprechend der journalistischen Spielregeln durchgeführt werden, durchaus rechtfertigen. Genau dieser Punkt, die Art und Weise der Auseinandersetzung, sollte diskutiert werden. Wie Peter Glotz und Claus Leggewie und viele andere bin ich der Ansicht, daß die Linke vor neurechten und rechtsextremen Gruppierungen nicht „ständig zurückzucken“ (Glotz) darf, sondern sich mit ihnen offen und offensiv auseinandersetzen und sie widerlegen muß. ZeitAutor Hans Sarkowicz, aber auch Micha Brumlik und der konkret-Autor Felix Krebs meinen offenbar, sie hätten das ihre zum „antifaschistischen Kampf“ beigetragen, wenn sie nur die linken Interviewpartner wieder einmal in die öffentliche Erinnerung rufen.

Ich habe in der „Jungen Freiheit“ zwar auch linke Strategien kritisiert, verschärft habe ich indessen die Kritik an der Neuen Rechten: „Ich glaube nicht, daß die ,Neue Rechte' in Deutschland momentan ein ebenbürtiger Diskussionspartner wäre. [...] Die gesellschaftliche Relevanz einer intellektuellen Rechten ist noch nicht gegeben. [...] Sicher, es gibt die Gefahr der Vernetzung von neurechten Zirkeln, Verlagen, worauf man aufpassen muß. Aber noch ist nicht die Stunde des großen intellektuellen Schlagabtauschs. [...]

Das Reaktionsmuster gegenüber den Befürwortern von Debatten kann als Indiz dafür genommen werden, daß die Verarbeitung der NS-Zeit selbst bei den Verfechtern einer systematischen Befassung mit der NS-Vergangenheit nur unzureichend erfolgte. Offenbar besteht weiter eine geheime, uneingestandene Angst vor der latenten und virulenten Attraktivität, warum nicht: „Faszination“ von Faschismus oder Rechtsextremismus. Statt diesen Widerspruch auszuhalten, wird er eskamotiert durch Verbote und ein eiferndes Anreden gegen die Beschäftigung mit dem „bösen“ oder „feindlichen“ Gegenstand. Ähnelt diese Art des Freund-Feind- Denkens nicht fatal dem totalitären Wahrheitsanspruch? Färbt die Denkweise des Gegners auf die Bekämpfer des „Bösen“ ab?

Erst wenn die liebegewordene Ideologisierung, also die ideologische Überfrachtung der Auseinandersetzung in den Hintergrund tritt, kann sich das linke, das demokratische Spektrum aufs Terrain verlegen, sich also auf die modernen, massenwirksamen Themen der Rechtsextremisten einlassen und deren Thesen widerlegen. Diese Themen sind Ausländer und Einwanderung, Kriminalität und innere Sicherheit, Wohnungsnot und Arbeitslosigkeit, nationale Identität, deutscher Sonderweg, „Verwestlichung“, demographische Entwicklung, „Verwahrlosung der Sitten“, Establishment, „US-Kulturimperialismus“ etc.

An der grundsätzlichen Linie der offenen und offensiven Auseinandersetzung mit Rechtsextremisten ist jedenfalls festzuhalten. Wie anders als durch Auseinandersetzung sollten denn Lernprozesse bei den Lesern rechtsextremer Periodika ausgelöst werden? Wolfgang Kowalsky

Der Autor arbeitet in der Abteilung Grundsatzfragen des IG-Metall-Vorstandes in Frankfurt am Main; Autor von: „Linke, was nun?“ (1993) und „Rechtsaußen und die verfehlten Strategien der deutschen Linken“ (1992)