Massaker von Hebron „vermeidbar“

Eine israelische Untersuchungskommission soll klären, was in der Ibrahim-Moschee passierte / Massenmörder Goldstein hatte zuvor eine Lebensversicherung abgeschlossen  ■ Aus Tel Aviv Amos Wollin

Meir Schamgar, der Präsident des obersten Gerichts in Jerusalem persönlich eröffnete gestern im großen Sitzungssaal das Verfahren zur Untersuchung des Massakers von Hebron. Unter seiner Leitung soll eine im großen Gerichtssaal tagende fünfköpfige Untersuchungskomission klären, was am 25. Februar in der Hebroner Ibrahim- Moschee passierte. Zu den Mitgliedern der Kommission gehört auch der arabische Bezirksrichter Abd el-Rahman Zuabi.

Als erster Zeuge trat gestern Dani Jatom auf. Der General ist Kommandant jenes zentralen Militärdistrikts zu dem auch die besetzte Westbank gehört. Seine Befragung begann öffentlich, wurde jedoch hinter verschlossenen Türen fortgesetzt. Der General schilderte die in der Moschee gültige Betordnung für Muslime und Juden. Für den beiden Konfessionen heiligen Platz gelten von der israelischen Regierung beschlossene Regeln, für deren Einhaltung Militärs und Einheiten des israelischen Grenzschutzes sorgen sollen. Nach Jatoms Aussage war in den entscheidenden Morgenstunden des 25. Februar lediglich ein israelischer Offizier am Ort, mindestens fünf Angehörige des Wachpersonals waren nicht an ihren Plätzen. Auf wiederholte Nachfragen der Mitglieder der Untersuchungskommission räumte Jatom ein, daß die Anwesenheit des gesamten Wachpersonals und das Einhalten des vorgeschriebenen Überwachungssystems das Massaker voraussichtlich verhindert hätte.

Nach Angaben Jatoms konnte der dem Wachpersonal wohlbekannte Siedler und Arzt Baruch Goldstein in eine Militäruniform gekleidet und mit einem automatischen Gewehr des Typs Galil bewaffnet unbehelligt die Moschee betreten. Dabei benutzte er eine Tür, die normalerweise nicht von Juden benutzt wird. Anschließend habe Goldstein insgesamt 110 Schüsse abgefeuert, wodurch 29 betende PalästinenserInnen getötet wurden. Drei weitere Personen seien bei dem Gedränge der fliehenden Muslime ums Leben gekommen. Insgesamt 160 PalästinenserInnen wurden verletzt. Innerhalb der Moschee haben laut Jatom auch israelische Soldaten einige Schüsse abgegeben. Diese seien jedoch gegen die Decke gerichtet gewesen.

Vor der Untersuchungskommision begründete Jatom die Praxis der Siedler, mit voller Bewaffnung zum Gebet in der Moschee zu erscheinen, mit der Notwendigkeit des Selbstschutzes. Bei verschiedenen Gelegenheiten habe er jedoch den Behörden empfohlen, die Bewegungsfreiheit einzelner Siedler aus Sicherheitsgründen einzuschränken. Dies sei jedoch als gesetzwidrig abgelehnt worden. Zu detaillierteren Sicherheitsfragen nahm der General nur unter Ausschluß der Öffentlichkeit Stellung.

Neben Jamon waren für den ersten Verhandlungstag weitere führende Militärs geladen, deren Namen jedoch nicht veröffentlicht werden dürfen. Ein hochrangiger Militärarzt erklärte, gegen Goldstein hätten während dessen Militärdienst keinerlei Beschwerden vorgelegen. Inzwischen wurde bekannt, daß der Massenmörder zwei Tage vor seiner Tat eine Lebensversicherung über eine Summe von 250.000 Schekel abgeschlossen hat.

In der kommenden Woche soll der Chef des israelischen Geheimdienstes Shin Bet in einer Geheimsitzung vor der Kommision aussagen. Für heute ist ein Besuch der Untersuchungskommission in Hebron vorgesehen. Die Mitglieder sollen die Sicherheitsvorkehrungen in der zur Zeit geschlossenen Ibrahim-Moschee überprüfen.

Sowohl die PLO als auch die islamistische Palästinenserorganisation Hamas haben eigene Untersuchungskommissionen eingesetzt. Aufgrund der weiterhin bestehenden strengen Ausgangssperre für PalästinenserInnen in Hebron können die Kommissionen ihre Aufgabe einstweilen jedoch nicht erfüllen. Als die Ausgangssperre am Montag kurzfristig gelockert worden war, um der Bevölkerung Gelegenheit zum Einkauf von Nahrungsmitteln zu geben, hatte es heftige Zusammenstöße zwischen jungen Palästinensern und schwerbewaffneten Soldaten gegeben. Dabei wurden zwei Palästinenser erschossen und mindestens sechs verletzt. Damit ist die Zahl der seit dem Massaker von Israelis getöteten Palästinenser in den besetzten Gebieten auf 30 gestiegen. Bei einer Gedenkfeier für die Opfer von Hebron in der Universität von Betlehem gab es Verletzte, weil das Militär versuchte, die Veranstaltung mit Gasgranaten und Gummigeschossen aufzulösen.

Der militante Arme von Hamas, Ezz ad-Din al-Kassem gab in einem Flugblatt bekannt, daß ab dem 15. März mit einer Reihe von blutigen Vergeltungsaktionen für Massaker von Hebron zu rechnen sei. Diese würden sich vor allem gegen Siedler in der Westbank und im im Gaza-Streifen richten. Den Siedlern in der Gegend von Nablus und Hebron-Betlehem sowie im Siedlungsblock des Gaza-Streifens wird in dem Flugblatt geraten, sich durch Verlassen der Siedlungen in Sicherheit zu bringen.