Biblis vorläufig vom Netz

■ Stahlmeißel löste den Brand aus / Töpfer besteht auf Inbetriebnahme

Frankfurt/Main (taz) – Ein zwölf Zentimeter langer Stahlmeißel war wahrscheinlich die Ursache für den Brand im Hauptkühlmittelmotor des Primärkreislaufs im Atomkraftwerk Biblis A. Wie die Leitung des AKWs im südhessischen Ried am Montag mitteilte, wurde der Flachmeißel bei den Wartungsarbeiten während der abgelaufenen Revision des Reaktors offensichtlich „vergessen“. Das Werkzeug sei beim Zusammensetzen des Motors zwischen Gehäuse und Wicklung gelangt, sagte Kraftwerksdirektor Klaus Distler. Weil das Corpus delicti bei bei den Vorbereitungen zum Wiederanfahren des Reaktors dann die Isolierung des Elektromotors beschädigte, kam es zum Kurzschluß und dann zum Brand des Hauptkühlmittelmotors, heißt es in einer Stellungnahme der Betreiberfirma RWE.

Weil die vom hessischen Umweltminister Joschka Fischer einbestellten Experten gestern noch immer vor Ort mit der Urachenforschung und der Skizzierung von Szenarien beschäftigt waren, ist der Reaktor noch nicht wieder in der sogenannten Wiederanlaufphase. Bundesumweltminister Klaus Töpfer (CDU) hatte Fischer am vergangenen Mittwoch angewiesen, den 20 Jahre alten Reaktor nach Beendigung der dreimonatigen Wartungsarbeiten wieder ans Netz gehen zu lassen. Einen genauen Zeitpunkt für den Abschluß der Untersuchungen konnte die Sprecherin des hessischen Umweltministerums, Renate Gunzenhauser, gestern jedoch nicht nennen. Allerdings orderte Töpfer bei Fischer bereits für Dienstag nachmittag einen Untersuchungsbericht – und einen „vorläufigen“ Bericht hat der hessische Umweltminister seinem Bonner Amtskollegen wohl auch zugestellt.

Weil Töpfer seine Weisung an Fischer, alles zu unterlassen, was ein Wiederanfahren der Anlage gefährden könnte, nicht zurückgezogen hat, gehen die Betreiber davon aus, schon heute die laufenden Wiederinbetriebnahmetätigkeiten der Gesamtanlage fortsetzen zu können: „Mit dem Befundergebnis (Meißel) bleibt das Brandereignis auch weiterhin ohne sicherheitstechnische Bedeutung und damit nicht meldepflichtig im Sinne der geltenden atomrechtlichen Meldeverordnung.“

Bundesumweltminister Töpfer hat unterdessen seine Vorwürfe an Joschka Fischer wiederholt, wonach der Grüne durch eine „Verschleppung“ der Genehmigungsverfahren die Umsetzung der von Fischers Vorgänger Karlheinz Weimar (CDU) angeordneten 49 Sicherheitsauflagen für den Reaktor Biblis A verhindert habe. Auf Nachfrage der taz wies Fischers Sprecherin Gunzenhauser diesen Vorwurf entschieden zurück. Das Land habe allein fünf Millionen Mark für die befristete Einstellung von Experten ausgegeben, die für die zügige Bearbeitung der „bislang nur zögerlich und unvollständig eingegangenen“ Antrags- und Genehmigungsunterlagen der RWE sorgen sollten, sagte Gunzenhauser. Über den genauen Stand der Dinge werde zur Zeit eine Dokumentation erstellt, die lückenlos darüber Auskunft geben soll, daß sich das Ministerium in Wiesbaden nichts vorzuwerfen habe. Am Mittwoch und Donnerstag werden sich Parlamentsausschüsse von Land- und Bundestag mit dem Thema Biblis A beschäftigen. Klaus-Peter Klingelschmitt