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Die EU ringt mit ihrer künftigen Größe

Die osteuropäischen Staaten Polen und Ungarn eröffnen die nächste Erweiterungsrunde / Erste Anzeichen für Bewegung im Fischereistreit mit EU-Anwärter Norwegen  ■ Aus Brüssel Alois Berger

Während die 12 Außenminister gestern noch mit Norwegen verhandelten und sich dabei vor allem in Fragen der künftigen Machtverteilung innerhalb der EU in den Haaren lagen, eröffneten Ungarn und Polen bereits die nächste Erweiterungsrunde. Der polnische Außenminister Andrezey Olechowski kündigte an, sein Land werde im April gemeinsam mit Ungarn den offiziellen Aufnahmeantrag stellen.

Olechowski war nach Brüssel gekommen, um mit dem Außenministern der EU bei der ersten Sitzung des Assoziierungsrates die Richtlinien für die weitere Zusammenarbeit zu unterschreiben. Seit 1. Februar 1994 ist Polen, wie auch Ungarn, offiziell mit der EU assoziiert. Die Abkommen mit der Tschechischen und der Slowakischen Republik haben sich durch die Teilung des Landes verzögert. Der Assoziierungsrat ist kein gemeinsames Gremium der Union mit den vier Reformstaaten, wie diese es gerne gesehen hätten. Ähnlich den „Partnership for Peace“-Abkommen der NATO will sich die EU damit die drängenden Länder etwas vom Leib halten. Die Assoziierung soll ihnen das Gefühl geben, daß die EU ihr Anliegen auf Westbindung ernst nimmt, läßt aber die Möglichkeit offen, für jedes Land eine eigene Form der Zusammenarbeit zu finden und einen individuellen Zeitplan für die eventuelle Aufnahme auszuarbeiten.

Gestern tagte sowohl der Assoziierungsrat mit Polen als auch der mit Ungarn. In beiden Fällen wurde von EU-Seite die Bereitschaft zur engen Zusammenarbeit beteuert und die Aufnahme als Vollmitglied grundsätzlich in Aussicht gestellt. Sowohl Ungarn wie Polen wurde bescheinigt, daß sich die Handelsbeziehungen erfreulich entwickelten und die Anpassung der nationalen Gesetzgebung an die EU beachtliche Fortschritte mache. Das von Polen und Ungarn angespielte Beitrittsdatum um die Jahrtausendwende wurde jedoch geflissentlich überhört.

Der Assoziierungsrat konnte ohnehin nur sehr kurz tagen, weil die EU-Außenminister zu den aktuellen Beitrittsverhandlungen mit Norwegen abrücken mußten. Am gestrigen Nachmittag zeichnete sich beim Streit um den Zugang spanischer Fischer in norwegischen Kabeljau-Gewässern ein Ergebnis ab, das jedoch aus verhandlungstaktischen Gründen nicht gleich öffentlich gemacht wurde. Dafür verbissen sich die EU-Außenminister in der Frage der künftigen Sperrminorität im Ministerrat, die vor allem bei wirtschaftlichen und sozialen Entscheidungen zum Tragen kommt. Fast alle anderen Probleme müssen ohnehin einstimmig gelöst werden.

Hinter dem scheinbar kleinlichen Streit, ob die Sperrminorität bei 23 Stimmen bleiben oder auf 27 erhöht werden soll, verbergen sich massive Ängste. Wegen der sehr unterschiedlichen Größe der Mitgliedsländer werden die Stimmen bei Mehrheitsentscheidungen gewichtet: Deutschland etwa hat zehn Stimmen, Griechenland fünf oder Luxemburg zwei. Bisher reichen 23 Stimmen aus, um Entscheidungen zu blockieren — das sind 30 Prozent. Nach der Erweiterung müßten es 27 Stimmen sein, damit die Sperrminorität wieder bei 30 Prozent liegt. Eine seltsame Koalition aus Spanien, Italien und Großbritannien hat sich nun gegen diese rechnerisch ziemlich eindeutige Lösung quergelegt. Die drei Länder wollen die Sperrminorität bei 23 Stimmen halten, weil sie fürchten, sonst zu häufig überstimmt zu werden.

Die anderen neun Länder sehen darin den Versuch, die EU zu schwächen. Der Streit könnte auch die Aufnahme von Österreich, Finnland und Schweden noch einmal in Frage stellen. Der Präsident des Europa-Parlaments, Egon Klepsch, hat den Ministerrat gewarnt, daß die Mehrheit aller Wahrscheinlichkeit nach die Erweiterung ablehnen werde, wenn sich Madrid und London durchsetzen sollten. Das Europa-Parlament wird morgen mit den Beratungen über die Aufnahmeverträge beginnen.

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