Weniger Gewalt, mehr Propaganda

Sachsens und Sachsen-Anhalts Verfassungsschützer legen Jahresberichte vor / Anzahl rechter Gewaltakte nahm ab, Niveau bleibt aber hoch / PDS-Strömung wird beobachtet  ■ Von Detlef Krell und Eberhard Löblich

Dresden/Magdeburg (taz) – Sachsens Neonazis feilen an ihren Strukturen, und sie bereiten sich auf die Wahlen vor. Einem Abwärtstrend bei Gewalttaten, 1993 waren es 60 Prozent weniger als im Vorjahr, steht die Zunahme von Straftaten rechtsextremistischer Propaganda gegenüber. Im Jahresbericht des Landesamtes für Verfassungsschutz, den Innenminister Heinz Eggert (CDU) gestern vorstellte, wird ein bequemes Klischee über die „rechte Szene“ widerlegt: Die Mehrheit der Straftaten wurden von erwachsenen, berufstätigen BürgerInnen begangen, also nicht von gern zitierten „Außenseitern“.

3.400 Rechtsextremisten sind im Freistaat aktiv, davon gelten 900 als militant; 300 werden zu neofaschistischen Organisationen zugerechnet. Stärkste Organisation ist die Wiking-Jugend. Legale Parteien zählen 2.500 Mitglieder. Auch in Sachsen wechselten Mitglieder verbotener NS-Organisationen vielfach ins legale Lager über. Verbal erklärte „Abgrenzung“ zwischen Parteien gilt in der Praxis nicht viel.

Laut Verfassungsschutz hat die NSDAP-AO (Auslands- und Aufbauorganisation) in Sachsen bisher „keine nennenswerte Bedeutung.“

Ein Arbeitsfeld sieht das Landesamt auch in der Kommunistischen Plattform der PDS. Die KPD-nahe Strömung wird beobachtet, nicht aber die gesamte Partei. Bisher hat die Plattform in dem auf Ausgleich zwischen Reformern und Alt-Kadern bemühten Landesverband kaum Einfluß.

Aufregend, was die Schlapphüte über „Linksextremisten“ herausgefunden haben: Ostautonome zeigen gegenüber den Westlern „ein eigenes politisches Selbstverständnis“, das sich in der Wahl der Themen zeige. Neben Antifa- Kampf seien Arbeitslosigkeit und „West-Imperialismus“ aktuell.

Auch in Sachsen-Anhalt ist die Zahl der rechtsextremen Gewalttaten im Vergleich zum Vorjahr erkennbar zurückgegangen. Sie bewegt sich aber nach wie vor auf einem erschreckend hohen Niveau. Insbesondere die Brutalität bei gewalttätigen Übergriffen habe besorgniserregend zugenommen, erklärte gestern der Präsident der Verfassungsschutzbehörde, Wolfgang Heidelberg.

Insgesamt registrierten die Verfassungsschützer 328 rechtsextremistische Straftaten, das sind 128 weniger als im Vorjahr. Demgegenüber stieg die Zahl linksextremer Straftaten von 58 im Jahr 1992 auf 128 an. „Durch die höhere Zahl rechtsextremer Straftaten haben wir derzeit in diesem Bereich auch noch unseren Beobachtungsschwerpunkt, auch wenn wir auf diesem Auge angeblich blind sind“, sagte Heidelberg. „Dafür nehmen wir vorübergehend auch eine leichte Körperbehinderung auf dem linken Auge noch in Kauf.“

Neonazistische Parteien und Organisationen spielen in Sachsen-Anhalt nach wie vor eine untergeordnete Rolle und konzentrieren ihre Aktivitäten vorwiegend auf den Harzraum. Auf feste Strukturen könne nur die FAP zurückgreifen, die in Wernigerode eine Kameradschaft gegründet habe. Die angestrebte Gründung eines Landesverbandes gab es noch nicht. Die Reps, deren Landesvorsitzender Rudolf Krause als einziger Schönhuber-Jünger ein Bundestagsmandat hat, sind in ihrem Landesverband von 500 auf 800 Personen angewachsen.