Bilanz eines angekündigten Todes

■ Manfred Salzgeber stellt im Abaton Derek Jarmans letzten Film „Blue“ vor

„Nichts macht einen interessanter als die Ankündigung des eigenen Todes“ - sagt Derek Jarman, der am 20. Februar 1994 an den Folgen von Aids starb, mit brüchiger Stimme in seinem letzten Film Blue. Er wußte seit sieben Jahren, daß er Aids hat und war in den letzten Monaten erblindet. Der schwule Regisseur zog mit Blue die anstrengende Bilanz seiner letzten Jahre.

Der Zuschauer sitzt vor der tiefblauen Leinwand, die sich bei ständigem Hinsehen auszudehnen scheint und droht, den Betrachter zu verschlingen. Es gibt keine Bilder, keine Handlung. Zu hören sind neben Jarman die Schauspieler John Quentin, Nigel Terry und Tilda Swinton, die in der deutschen Fassung von Ulrich Matthes, Sylvester Groth, Wolfgang Condrus und Eva Matthes synchronisiert werden, denn „Untertitelung hat bei diesem Film wenig Zweck“, sagt Verleiher Manfred Salzgeber. Neben den Stimmen werden Alltagsgeräusche wie Schreien, Kreischen und Flüstern aus dem St. Bartholomew's Hospital in London laut, wo der Kranke gelegen hatte.

Jarmans Filme behandelten stets außergewöhnliche Themen oder Außenseiter wie in Caravaggio, The Garden oder Edward II.. Diesmal gibt er selbst die Hauptrolle und erzählt von seinem schwulen Leben. In beängstigender Klarheit berichtet er über sein langsames Sterben: „Ich werde den Kampf gegen das Virus nicht gewinnen. Im Hospital ist es so ruhig wie in einem Grab. Die Schwester versucht verzweifelt, eine Vene in meinem rechten Arm zu finden. Nach fünf Versuchen geben wir auf.“ Penibel zählt er die bedrohlichen Nebenwirkungen eines Medikamentes auf: Durchfall, Übelkeit, Blutungen. Kriegsgeschrei aus Bosnien und beißende Musik von Simon Fisher Turner unterbrechen diese Monologe.

Blau war für Jarman, der am 31. Januar noch seinen 52 Geburtstag gefeiert hatte, das Tor zur Seele, seine Netzhaut „ein ferner Planet“. Zwanzig seiner Freunde waren an Aids gestorben, mit fünf davon hatte er geschlafen. „Schön war es mit ihnen“, sagte er, doch das Sterben war es nicht. Nun ist man gezwungen, genau hinzuhören - und das wollte der Regisseur erreichen, wenn er das Publikum 75 Minuten lang mit blau, der Farbe der Ferne, konfrontiert. Blue, das filmische Testament Derek Jarmans, ist allen wahren Liebenden gewidmet. Derek Jarman bekam den blauen Rittersporn auf seinem Grab, den er sich gewünscht hatte. Nun weiß er, ob sein letzter Wunsch erfüllt wurde: „Lieber Gott, bitte schick mich in die Hölle“.

Klaus Braeuer

„Blue“: Premiere der deutschen Fassung heute um 21 Uhr im Abaton mit einer Einführung von Manfred Salzgeber, Originalfassung täglich 17.30 Uhr; das Buch zum Film erschien im Verlag Martin Schmitz, 20 Mark