Verleger kippt Chefredakteur

■ "Bremer Nachrichten"-Chef stolpert über umstrittene Überschrift

Die Schlagzeile der Bremer Nachrichten vom Dienstag schockierte: „Jude als Nachbar ungern gesehen“ titelte die Zeitung auf Seite eins. Über diese Schlagzeile ist nun der stellvertretende Chefredakteur Walfried Rospek, seit 40 Jahren Journalist bei den Bremer Nachrichten, gestolpert: Er hatte das Ergebnis einer Umfrage des Emnid-Institutes über Antisemitismus in Deutschland, nach der unter anderem 22 Prozent der Deutschen Juden „lieber nicht“ als Nachbarn haben würden, mit dieser Überschrift versehen. Erstmalig in der Geschichte der Bremer Nachrichten griff daraufhin Verleger Herbert C. Ordemann in redaktionelle Entscheidungen direkt ein: In der gestrigen Ausgabe entschuldigte er sich für die „redaktionelle Fehlleistung“. Durch die Überschrift sei in der Öffentlichkeit der Eindruck entstanden, „als vertrete unsere Zeitung eine antisemitische Haltung“ – dies widerspreche der Linie des Verlages und der Redaktion von Grund auf. Und: „Der verantwortliche Redakteur ist vom mir zur Rechenschaft gezogen worden.“ Im Impressum tauchte Walfried Rospek gestern als verantwortlicher Redakteur für den Bereich Politik nicht mehr auf; der 63jährige hat gestern morgen seine Kündigung eingereicht.

„Ich wollte die Leute mit der Überschrift aufrütteln, denn ich war selber über das Ergebnis der Umfrage entsetzt“, sagte der Journalist gestern zur taz, „aber viele meinten, den –Stürmer– vor sich zu haben“. Es bedrücke ihn, daß er nun in den Ruch des Antisemitismus komme. Grundlage des Artikels war eine Meldung der Nachrichtenagentur associated press (ap) über eine im Auftrag des Amerikanischen Jüdischen Komitees durchgeführte Umfrage. Demnach schrieben u.a. 31 Prozent der Befragten Juden „zuviel Einfluß auf das Weltgeschehen“ zu, lehnten 28 Prozent einen jüdischen Kandidaten für das Amt des Bundespräsidenten ab und stimmten 37 Prozent der Behauptung zu, der Holocaust habe „heute keine Bedeutung mehr“.

„Ich hatte die Wahl: Nehme ich für eine solche Nachricht eine vage, flaue Überschrift wie –Antisemitismus nimmt zu–, oder nehme ich eine schockierende?“ so Rospek. Unwohl ist ihm im Nachhinein in der Tat bei der Bezeichnung „Jude“: „Das Wort Juden im Plural hätte dem wohl noch einen anderen Touch gegeben“. Und er habe lernen müssen, daß sich „dieses Thema für eine Schocktherapie offensichtlich nicht eignet“. Rospek, der seit Jahrzehnten in Bremen als toleranter und liberaler Journalist bekannt ist, hatte im übrigen in derselben Ausgabe die Umfrageergebnisse verurteilt und als „unglaublich“ kommentiert.

Im Zeitungsgeschäft wäre es nun üblich gewesen, daß der Fehlgriff bei der Überschrift von der Redaktion richtiggestellt und entschuldigt wird; die erstmalige Einmischung des Verlegers sehen die KollegInnen mit Befremden. Herbert Ordemann lehnte eine Stellungnahme gestern ab. Weiteren disziplinarischen Verfahren neben der Rückstufung als Chefredakteur kam Rospek mit seiner Kündigung zu einem kurz vor seiner Pensionierung liegenden Termin zuvor.

Weitaus unaufgeregter nahm der Landesrabbiner Prof. Benjamin Barslai die Schlagzeile hin: „Ich sehe das als reine Dummheit, und sowas bin ich von Zeitungen gewöhnt.“

skai