Früher Jugoslawin, „jetzt bin ich nichts mehr“

■ Eine kleine Ausstellung dokumentiert das Leben von 14 heimatlosen Bosnierinnen

Eine schwarze Tasche aus Kunstleder ist das einzige, was Mirjana und ihr Mann aus Derventa in Bosnien nach Berlin mitnehmen konnten. Emigrantinnen aus Ex-Jugoslawien haben sie für die Ausstellung „Heimatlos“ auf einen Sockel gestellt und eine Glashaube drübergestülpt.

Eine Stunde blieb Mirjana, um das Nötigste in die Tasche zu packen. Dokumente, etwas Geld, Wäsche und einige Medikamente. Ein Soldat fuhr das Ehepaar durch die Barrikaden in das 30 Kilometer entfernte Prnjavor. Dort stiegen Mirjana und ihr Mann in den Bus nach Novi Sad. Von dort sollte es mit dem Zug weitergehen. Bis zur Grenze zwischen Serbien und Ungarn verlief alles glatt. Doch dann holten Grenzbeamte Mirjanas Mann aus dem Zug. Er hatte keine Bescheinigung, die ihn vom Wehrdienst befreite. Die Flucht wäre hier für ihn beendet gewesen, wenn ihm nicht einer der Polizisten geholfen hätte, die Grenze trotzdem zu überqueren.

Mirjana lebt nun schon fast zwei Jahre in Berlin. Sie ist eine der 14 Frauen, die in der Ausstellung „Heimatlos“ im Kulturhaus Spandau von ihrem Leben im ehemaligen Jugoslawien, auf der Flucht und in Deutschland erzählen. „Mit der Ausstellung wollen wir den BerlinerInnen die Schicksale der Frauen nahebringen. Wir dürfen nicht abstumpfen und müssen immer wieder von Neuem sensibilisiert werden“, sagt Dragica Horvat vom AWO-Frauenladen.

Die 14 Frauen sind moslemischen, katholischen, orthodoxen Glaubens oder Atheistinnen. Einige, wie Mirjana, leben in gemischten Ehen. „Niemals hatten wir deswegen Probleme in unserer Familie. Ich würde mich schämen, wenn ich jetzt einen Glauben wählen müßte“, sagt Mirjana. Früher war sie Jugoslawin. Jetzt, sagt sie, „bin ich nichts mehr“.

In Derventa arbeitete Mirjana als Lehrerin am Gymnasium. Die Schule steht nicht mehr. Gerne würde Mirjana in Berlin wieder als Lehrerin arbeiten, doch sie hat noch Schwierigkeiten, Deutsch zu sprechen und zu schreiben. „Am Anfang schien es mir unwichtig, daß ich alles, mein Heim, meine Arbeit verlassen mußte. Ich dachte nur, Hauptsache, wir retten unser Leben“, sagt Mirjana. Doch allmählich ist das bloße Bewußtsein, erlebt zu haben, nicht mehr genug. Mirjanas 20 Jahre alter Sohn lebt in Schweden. Zwei Jahre hat sie ihn schon nicht mehr gesehen. Weder kann sie nach Schweden, noch kann ihr Sohn nach Berlin kommen. Sie besitzen nur Duldungen und dürfen deshalb die Grenzen nicht überschreiten. Mirjanas Tochter lebt in Berlin, allerdings nicht bei den Eltern, da sie in einem elf Quadratmeter kleinen Raum wohnen. Die Familie ist auseinandergerissen. „Das ist am allerschlimmsten für mich“, sagt Mirjana.

Vor kurzem konnte Mirjana Kontakt zu ihren Nachbarn aufnehmen. Einer schrieb ihr: „Unsere Straße ist eine einzige Ödnis.“ In der Straße wohnen jetzt noch zwölf Menschen, vorwiegend Alte und Gebrechliche. Mirjanas Mann träumt manchmal von seiner Heimatstadt. Er kann sich nicht mit der Tatsache abfinden, hier zu leben. „Ich bin ein Verräter“, sagt er. „Doch lieber bin ich ein Verräter als ein Mörder.“ Annabel Wahba

Die Ausstellung „Heimatlos“ ist noch bis 16. März täglich von 16 bis 20 Uhr in der Galerie des Kulturhauses Spandau, Mauerstraße 6, zu sehen.