Zurück in Pandoras Büchse

■ „Aktion Mutante“ – Science-fiction à la Alex de la Iglesia

Die beiden hübsch auf Polänge frisierten Ledertypen zwei Reihen vor mir im sonst sehr leeren Kinosaal haben sich ziemlich amüsiert über den Film. Aber die wußten auch schon vorher darüber Bescheid, daß dieser „Kult-Klassiker wahrscheinlich erstmal einige Zeit brauchen wird bei den Leuten“. Vielleicht geht es sogar noch ein wenig schneller, denn Fangoria, das US-amerikanische Leib-und- Magen-Blatt für Splatter-Fans, hat „Aktion Mutante“ auf vier reich und bunt bebilderten Seiten gefeatured.

Wo einsam und wirklichkeitsentfremdet kalkulierende Produktmanager immer wieder mit anti-bürgerlichen Attributen wie „völlig durchgeknallt“, grell-blutig“ und „schlechter Geschmack“ auf Kumpanenfang gehen, ist am Ende meistens gar nichts so schön schrill, wie es hätte sein mögen. Bereits 1992 war „Accion Mutante“, eine Pro-Krüppel-Provo-Komödie des Spaniers Alex de la Iglesia, unter der geistesväterlichen Aufsicht von Pedro Almodovar gedreht worden. Ein großer Kessel aus bunten Zitaten: Wiederholungs- Späßchen à la „Galaxina“, flockiges Blutrot wie aus dem „Basket Case“ von Henenlotter; mit „Alien“ an Bord und viel „Evil Dead“ im Gemüt. Doch als könne das zusammengeklaubte Filmwerk trotzdem nicht auf eigenen Füßchen stehen, blieb der Film zunächst für eineinhalb Jahre eingelagert, bis er parallel zu „Kika“, dem neuen Almodovar, ein bißchen Lust auf mehr machen sollte: Der Zweitfilm zum Skandal sozusagen, lustige Morde, freche Vergewaltigungen und böses Reality- Fernsehen mit inbegriffen.

Natürlich richten sich die Lacher an ein Publikum, das als genügend eingeweiht gilt, um sich mit der schlüpfrig-frech vorpreschenden Subversionsstrategie des Films zu verbünden. Die Story ist im Jahre 2012 angesiedelt, Werte wie Gerechtigkeit und Wahrheit existieren nicht länger. Die ganze Erde wird von einer Elite aus makellosen Models, Fitness-Helden, Vollwertkost-Milliardären und einem debil-eitlen Medienapparat beherrscht. Der Restbestand an normal gebautem Fleisch wird von Robocop-Bullen aus Stahl und Silikon niedergeknüppelt.

Gegen diese Macht-Apparatur des schönen Scheins haben sich ein paar mutierte Cyber-Spezies als hartgesottenes Terroristengrüppchen zusammengerottet: Da sind der Taubstumme mit Atlaskräften und ein buckliger Poet, die schon zu Beginn für die gemeinsame Sache ihr trauriges Leben lassen müssen; das tumbe siamesische Zwillingspaar, das dem lispelnden Hepatitis-Deformierten nicht über den Weg traut, und ein fliegender Torso mit einer Fünf-Kilo-Bombe im Bauch. Sie plündern, entführen, metzeln und brandschatzen den gesunden Volkskörper und quasseln ansonsten wirres Zeug wie das Monty-Python-Team, mit einem Soundtrack aus spanischem Funky-Metal unterlegt. Und irgendwie sind die Konsolen-Rocker aus dem fast Browningschen Krüppel-Fundus ganz sympathisch in ihrem ungelenken Draußendasein, das sie merkwürdig verhärmt und melancholisch zugleich macht, etwa wenn sich die siamesischen Zwillinge ständig gegenseitig die Verantwortung für verpatzte Terroraktionen in die gemeinsamen Schuhe schieben.

Nur der Anführer ist richtig Orwell-mäßig wie im düsteren Zukunftsleben, vielleicht weil er fünf Jahre im Knast gesessen hat. Die politischen Ideale vom befreiten Rand sind verflogen, der Desperado mit Stahlkappe im zuvor einmal markanten Stoppelbartgesicht hat sich moralischerseits gesundgelitten und denkt an einen ruhigen Lebensabend auf dem Planeten Axturias. Dafür entführt er die vollschlanke Erbin einer Vollkornbrotfirma und fordert 100 Milliarden gesamteuropäische Ecu.

Auch dieser Plan mißlingt: Die netten Terroristen bringt der Gierhals schon auf der Flucht um die Ecke, die Körner-Prinzessin entpuppt sich als Nervensäge mit „Stockholm“-Syndrom, die in einer Mischung aus Patty-Hearst- Romantik und überdreht feministischer entschuldeter Geilheit ihrem Kidnapper verfällt. Und auf dem Planeten Axturias ist es um keinen Deut besser als zu Hause: Selbst in einer frauenlosen – und deshalb außerästhetischen Gesellschaft, wie der Film suggerieren will – gucken alle Männer die gleichen Pornos mit den immergleichen Einblicken und denken dabei nur an die eine Sache: Zurück in Pandoras Büchse. Am Ende zündet dann noch jemand aus Versehen die finale Bombe, und tschüß. Harald Fricke

„Aktion Mutante“. Regie: Alex de la Iglesia. Mit: Antonio Resines, Frédérique Feder, Alex Angulo u.a.Spanien, 1992.