In Reichweite ist nur der Konkursverwalter

„In einem Jahr so weit wie ARD und ZDF“ – mit diesem vollmundigen Slogan war der „informationsorientierte“ Kölner Kommerzsender Vox am 25. Januar 1993 an den Start gegangen. Doch ein Jahr später sind alle Gesellschafter einschließlich der Bertelsmann-Tochter Ufa ausgestiegen – auf der Flucht vor den Anlaufverlusten von 335 Millionen Mark. Finden sich bis zum Monatsende keine neuen Gesellschafter, gehen bei Vox die Scheinwerfer endgültig aus.

Als die Bertelsmann-Tochter Ufa am Dienstag nachmittag zu einer abendlichen Pressekonferenz in Sachen Vox einlud, konnte das nach all den Querelen um den Kölner Sender letztlich nur heißen, daß man entweder dessen Abschaltung bekanntgeben oder den Retter in Gestalt eines neuen Gesellschafters aus dem Hut zaubern wollte. Doch was Ufa-Chef Manfred Lahnstein dann offiziell mitzuteilen hatte, war weder das eine noch das andere: „Die Ufa hat ihre Beteiligung an Vox am 8. März 1994 zum 31. März 1994 gekündigt.“ Eine Maßnahme, die kaum noch überraschen konnte. Denn nachdem von den ursprünglichen Vox-Gesellschaftern zunächst die Holtzbrinck-Gruppe, dann der Süddeutsche Verlag und die Westdeutsche Medienbeteiligungsgesellschaft ausgestiegen waren, hatte Anfang der Woche mit DCTP auch der vorletzte verbliebene Mitgesellschafter seine Anteile zum Monatsende gekündigt. Somit hätte die Ufa, sollte bis dahin die fieberhafte Suche nach neuen Mitgesellschaftern erfolglos bleiben, am 1. April als Hundert- Prozent-Eigner allein im Vox-Regen gestanden.

Mit der Kündigung kommt das Unternehmen dieser Situation zuvor. Weniger, wie offiziell verkündet, um nicht in eine „medienrechtlich untragbare Situation zu geraten“, sondern weil man keine Lust hat, sich die Verluste, die Vox produziert hat und produziert, allein ans Bein zu binden. Denn die sind noch immer erheblich. Bis Ende letzten Jahres beliefen sie sich nach eigenen Angaben auf 390 Millionen Mark. Schätzungen, daß Vox auch derzeit eine Million Miese täglich macht, wies Bertelsmann- Vorstandsmitglied Luther jedoch als „weit überzogen“ zurück.

Der Gesellschafter-Streit hatte begonnen, als Mitte 1993 die Stuttgarter Holtzbrinck-Gruppe (Handelsblatt) ihre Anteile von 14,5 Prozent gekündigt hatte. Im Februar diesen Jahres folgte der mit zwanzig Prozent beteiligte Süddeutsche Verlag (Süddeutsche Zeitung), dem Vox 65 Millionen Mark Verlust beschert hatte. Daraufhin verließen auch die Westdeutsche Medienbeteiligungsgesellschaft (25,1 Prozent) und Alexander Kluges „Development Company for TV-Programs“ (DCTP) das sinkende Schiff. Ein schweres Geschütz gegen die Ufa fuhr der Süddeutsche Verlag auf. In einem Rechtsgutachten wird der Vorwurf erhoben, die Ufa habe den Süddeutschen Verlag über die wahren Beteiligungsverhältnisse bei Vox arglistig getäuscht. Die Holtzbrinck-Gruppe habe bei Vox nie eine echte Gesellschafterrolle gespielt. Tatsächlich gehören der Ufa die bei einem Treuhänder geparkten Holtzbrinck-Anteile; sie verfügt so über 39,4 Prozent der Vox- Anteile. Da die Ufa-Film- und Fernsehgesellschaft aber schon Anteile an RTL (37,1 Prozent), RTL2 (7,8 Prozent) und premiere (37,5 Prozent) hält, darf ihre Vox- Beteiligung fünfundzwanzig Prozent nicht überschreiten. Kommt der Süddeutsche Verlag mit seiner Argumentation durch, hieße das, daß die Gesellschafterstruktur und -verträge bei Vox von vornherein rechtswidrig waren. Die Ufa käme das teuer zu stehen, sie müßte die dem Süddeutschen Verlag entstandenen Verluste übernehmen. Gegen den Süddeutschen Verlag will wiederum Bertelsmann rechtlich vorgehen. Die Münchner hätten trotz mehrfacher Mahnung die Zahlung des von ihnen selbst mit beschlossenen Verlustausgleichs für das erste Quartal 1994 verweigert.

Das Ende des Senders – der bei neunundsechzig Prozent Reichweite bei einem Marktanteil unter der Zweiprozentmarke dümpelt (sechs Prozent wären nötig, um rentabel zu arbeiten) – ist mit dem Ausstieg der Ufa nach offizieller Lesart jedoch noch nicht beschlossen. Zwar hat man Vorbereitungen für die Abwicklung der Gesellschaft vorsorglich eingeleitet, aber parallel dazu laufen die Verhandlungen mit potentiellen Vox-Interessenten „auf Hochdruck weiter, um eine Stillegung des Senders zu vermeiden“.

Aber wenn die Rettungsversuche mit der Essener WAZ-Gruppe, dem luxemburgischen Medienkonzern CLT (RTL) sowie der im Lokal-TV-Geschäft erfahrenen kanadischen Mediengruppe CanWest nicht zum Erfolg führen, hat es sich Ende des Monats ausgevoxt.

CanWest mischt bereits bei australischen und neuseeländischen Fernsehstationen mit. Sie würde Vox zu einem TV-Mantelprogramm für Ballungsräume umwandeln.

Im Bereich der elektronischen Medien ist die WAZ-Gruppe unter anderem mit zehn Prozent am Kölner Kommerzsender RTL beteiligt. Sie bekundete am Mittwoch gegenüber der Nachrichtenagentur dpa noch Interesse an einer Beteiligung. Allerdings sei ungewiß, ob sich in der kurzen noch zur Verfügung stehenden Zeit eine Verständigung mit Bertelsmann über ein neues Programmkonzept und einen neuen Wirtschaftsplan erzielen lasse.

Die deutsche Fernsehlandschaft könnte den Verlust verschmerzen, und die Landesmedienanstalten wären elegant aus dem Schneider. Die haben sich schließlich bisher erstaunlich zurückgehalten, obwohl der Sender seit Sommer letzten Jahres ein Programm abnudelt, für das er als „informationsorientiertes Vollprogramm“ eigentlich überhaupt keine Lizenz hat. Die Verflachung des Programms, von der Berliner Medienanstalt bereits bemängelt, hatte bislang keine medienrechtlichen Konsequenzen. Die Lizenz sei weiter „intakt“, teilte die nordrhein-westfälische Landesmedienanstalt mit, die zusammen mit den Bundesländern Bremen, Hessen und dem Saarland die Sendeerlaubnis für Vox ausgestellt hatte. Nur wenn bis zum 31. März 1994 keine neuen Gesellschafter gefunden würden, stehe die Lizenz in Frage.

Wenn Vox aus der Fernsehlandschaft verschwände, würden nicht nur die 190 MitarbeiterInnen des „Kernbereichs“ des Senders die Arbeitslosenstatistik bereichern, sondern dürfte auch der Stuhl von Manfred Lahnstein wackeln. Der frühere SPD-Finanzminister ist bei Bertelsmann für das Kommerz- Fernsehen zuständig. Schon jetzt wird er für das Scheitern von Vox verantwortlich gemacht. Auch am nordrhein-westfälischen Staatskanzleichef Wolfgang Clement, einem der geistigen Väter eines ambitionierten Privatfernseh-Abenteuers, wird die Pleite von Vox nicht spurlos vorübergehen.

Bislang gewährleistet eine Finanzspritze von Bertelsmann, daß das „Ereignisfernsehen“ (Eigenwerbung) zumindest bis Ende März auf Sendung bleiben kann. Doch wer mit dem Gedanken spielt, sich wegen Vox verkabeln zu lassen, sollte das Geld doch besser anderweitig zum Fenster rauswerfen.

Reinhard Lüke und

Markus Dufner, Köln