Internationale moralische Anstalt

■ Projekt „Theater Inter“ spielt „Iste Geldim“ von Can Kardelem in der Uni

Die Einrichtung eines Nationaltheaters war einst die große Losung der bürgerlichen Bühnenkultur; eine „moralische Anstalt“ sollte ein solches Theater werden, wie Friedrich Schiller es formulierte. Doch das revolutionäre Theaterprogramm von damals schlug nicht minder ins Gegenteil um, wie die humanistischen Ziele des Bürgertums insgesamt.

Der Theaterbetrieb von heute reagiert darauf mit dem Versuch, eine moralische Anstalt auch ohne das politische Motiv zu etablieren, das seinerzeit in der Rede von der Nation noch mitschwang: Mit einem regressiv-chauvinistischen Nationalbegriff ist kein Theater zu machen. Doch schon werden Botho Staußsche Stimmen laut, zum Nationalen sich zu bekennen; aber kaum jemand zeigt den Mut, die „moralische Anstalt“ als ein „Internationaltheater“ zu begründen.

Den Mut gibt es wieder nur dort, wo die Sache am gefährdetsten ist: Nicht also auf den finanziell abgesicherten Bühnen, die mit ästhetizistischer Zeigefingermoral fortfahren, sondern zum Beispiel im Kulturhaus in Billstedt. Hier wurde jüngst das Theater Inter als Projekt initiiert, ein Theaterforum für Ausländer, die zwischen traditioneller Heimatkultur und unheimlicher Konsumkultur eine kulturelle Identität verloren haben. Daß das nicht fröhliches Multikulti ist, sondern durchsetzt vom Widerspruch, zeigt die Laienspielgruppe unter der Regie von Stefan Rosinski mit Can Kardelens Iste Geldim (“Jetzt bin ich also hier“).

Das Stück erzählt aus dem Alltag einer hier lebenden türkischen Familie, deren Tochter (Songül Yilmaz) nach zehn Jahren Gefängnis in der Türkei nach Deutschland kommt. Hier geraten ihre politischen Ziele in Konflikt mit dem deutsch-türkischen Leben: Ihre jüngere Schwester (Sevengül Neseli) möchte ausziehen, die Mutter (Hatice Eldes) beginnt sich zu emanzipieren; der Vater (Murat Altun) verteidigt das Ideal der Tradition, der Sohn (Bülent Kayaturan) sein Idol Michael Jackson.

Obwohl das Geld kaum für eine Bühne reichte, Requisiten nur angedeutet sind und der Bildungsbürger sich über Mangel an dramatischer Qualität ereifern mag, konnte Rosinski mit dem Theater Inter an Brechtscher Lehrstücktheorie anknüpfen und eine unmißverständliche Aufforderung formulieren: Hingehen! Solches Theater behauptet nicht länger ein Bildungsmonopol, sondern spricht in der vergessenen Sprache der vom Theater Ausgeschlossenen. Daß das Stück überwiegend in türkischer Sprache gespielt wird, unterstreicht dies. Vom Publikum erzwingt es nicht bloß Applaus, sondern eine Resolution, viele solcher Theater-Projekte zu schaffen.

Roger Behrens

heute, 20 Uhr, Edmund-Siemers-Allee 1, Hörsaal B; am 25.3, 20 Uhr, Von-Melle-Park 8, PI