Sanssouci: Nachschlag
■ Rote Schuhe im carrousel Theater an der Parkaue
Foto: Thomas Aurin
Wer die roten Schuhe trägt, der tanzt den ganzen Tag und die ganze Nacht, läuft übers Meer und ist mit einem Schritt weit im Süden. Im Süden, davon ist Mammalena (Patricia Gorlino) überzeugt, ist alles besser. Und so hat sie ihre Freundin Stelluna (Carla Bessa) überredet, die große Stadt zu verlassen. Stelluna hat alles mitgenommen, was sie besitzt: eine Tüte Nüsse, ein Brett, ein paar Luftschlangen, einen Ball. Und die Pistole, die eigentlich Tarzan gehört, dem Anführer ihrer Kinderbande. Der Süden ist weit und die roten Schuhe unauffindbar, und so landen die beiden zerlumpten Mädchen auf einer unwirtlichen Halde vor der Stadt. Bewohnbar wird sie durch die Phantasie: Begeistert malt Stelluna, die von einer eigenen Hütte träumt, die vier Pfosten, die Bretter und das Wellblechdach in die Luft. Und Mammalena behauptet, sie habe die Abdrücke der magischen roten Schuhe, die ihrer erschossenen Mutter gehörten, im Sand gefunden: „Die Schuhe sind in den Süden gegangen!“
Das Stück der Italienerin Tiziana Lucattini, das jetzt im carrousel Theater zu sehen ist, zeigt den glühenden Lebenswillen brasilianischer Straßenkinder, die von bezahlten Killern wie Ungeziefer gejagt werden. Hin und wieder hören die beiden Mädchen ferne Schüsse und ducken sich: „Sie säubern ein weiteres Viertel.“ Und dann spielen sie selber Totschießen, mit einem alten Rohr als Gewehr. In der Inszenierung von Marcelo Diaz wird das Spiel ab und zu abrupt unterbrochen – dann läuft auf zwei Bildschirmen im Zuschauerraum eine Dokumentation über die Todesschwadronen. Ein paar verschossene Tücher sind das ganze Bühnenbild. Belebt wird es von der unglaublichen Energie, mit der die Mädchen einander necken, sich balgen, streiten und versöhnen und plötzlich zu tanzen anfangen. Immer wieder, wenn sie vom Süden und den roten Schuhen reden, erklingen leise, intensive Rhythmen (Schlagzeug: Tobias Dutschke).
Die roten Schuhe gibt es übrigens wirklich. Kaum hat Stelluna sie gefunden, klopft sie sich den Dreck von den Fußsohlen, quetscht die Füße hinein und tanzt und tanzt. Sie hört auch nicht auf, als die Schüsse wieder näherkommen: „Ich habe ja die Schuhe!“ Als sie dann erschossen am Boden liegt, kehrt Mammalena um. Das reale Elend war stärker als die Träume, in den Süden wird sie nie kommen. Trotzdem gibt sie immer noch nicht auf. Einmal noch dreht sie sich um und sagt trotzig zu der Toten: „Es ist nicht so, daß die Schuhe nicht funktioniert haben. Sie waren dir nur zu eng.“ Miriam Hoffmeyer
Nächste Vorstellungen heute 19.30 Uhr, am 14. und 15.3., 10.30 Uhr, carrousel Theater, Hans-Rodenberg-Platz 1, Lichtenberg.
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