: Ionescos Stuhl mit Händen
■ Ausstellung von Theaterplakaten in Prenzlauer Berg
Allein und verlassen steht er da, hinter ihm nur rote Wüste. Sein Gesicht ist ein einziger Schrei: Brechts Baal, gemalt von Martin Grund, dem Bühnenbildner des Berliner Ensembles. Mehr als 100 ostdeutsche Theaterplakate der letzten fünf Jahre hat der Bund der Szenographen zusammengetragen, die nun in einer Ausstellung in der Galerie Prenzlauer Allee 31 zu sehen sind. Bis unter die Decke sind die Wände tapeziert mit dem, was sich Bühnenbildner und Graphiker zur Belebung ihres Geschäfts haben einfallen lassen.
Unterschiedslos hängen sie hier beieinander, die Höhepunkte und Flops vergangener Spielzeiten. Stumme Zeugen, bunt oder schwarzweiß, aufregend, spröde, fröhlich oder düster. Viele Plakate der Ausstellung kommen einem bekannt vor: die mystischen Strandfotos von Martin Fischer etwa, die „Fatzer“ und „Maldoror“ vom Orphtheater im Tacheles ankündigten. Oder der vom imaginären Feuer verzehrte, lorbeerbekränzte „Theatermacher“ von Thomas Bernhard, den Eberhard Keienburg für das Deutsche Theater entworfen hat. Von Keienburg, einem unbestrittenen Meister seines Fachs, stammt auch das älteste Plakat dieser Ausstellung: „Der blaue Boll“ von Ernst Barlach, im DT vor zehn Jahren. Ein weißer Koloß von Mann ist hier zu sehen, aus dessen Hemdkragen zusätzlich noch ein blauer Schweinskopf herauswächst – Theaterplakate sind nicht bloß Werbung, sondern eine Kunst für sich. Individualität hat sich, wie man am „Baal“ von Martin Grund sieht, inzwischen auch im Berliner Ensemble durchgesetzt; früher vertraute das Brecht- Traditionskabinett durchgehend auf kühl-konstruktivistische Eleganz und die (beträchtlichen) typografischen Fähigkeiten beispielsweise von Karl-Heinz Drescher.
Anke Feuchtenberger, Mitglied der Prenzlberger Zeichnergruppe PGH Glühende Zukunft, ist mit rund einem Dutzend Entwürfen vertreten, unter anderem mit einer zauberhaft düsteren Gestalt in schwarzem Dress, die für das Marionettentheater in Hellersdorf wirbt. Ein schrilles Szenepärchen zeichnete Feuchtenberger für das Theaterhaus in Jena: Georg Büchners Leonce und Lena, ins Zeitgenössische übersetzt. Zeitgenössisch auch der Matrose, der eine Handvoll Sand frißt und dabei sein zukünftiges Publikum mit funkelnden Augen anstarrt. Henning Wagenbreth hat ihn für eine Aufführung von Bernard Marie Koltès' „Quai West“ im Tacheles gemalt, in Olivgrün und Rostrot.
Theaterplakate haben eine magische Ausstrahlung. Sie sind Zwitterwesen aus Kunst, Graphik und Design. In diesem Fall sind sie teilweise auch zeitgeschichtliche Dokumente, die in der DDR, wie überhaupt das Theater, mitunter hochpolitisch waren. So ließ sich der Bühnenbildner Volker Pfüller, der heute die Staatliche Schauspielschule in Weißensee leitet, im heißen Sommer '89 anläßlich der Inszenierung von Eugène Ionescos „Die Stühle“ etwas Besonderes einfallen. Er malte, in Gedanken wohl irgendwo zwischen Leipzig und Berlin, einen Stuhl, dem nicht nur Füße gewachsen waren, sondern auch zwei Hände, mit denen er seine eigene Lehne zerbricht. Wer Augen hatte zu sehen, verstand. Ulrich Clewing
Bis Ende April, Di.–Fr. 14–517 Uhr, Galerie Prenzlauer Allee 31, Mitte.
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