Erfahrungsbericht aus dem Knast Tegel

■ Den schädlichen Auswirkungen des Strafvollzuges ist entgegenzuwirken!

In den letzten Wochen konnte man in einem Berliner Boulevardblatt nachlesen, wie schön und fidel es im Berliner Strafvollzug (Tegel) doch zugeht. Daß es sich bei dieser Artikelserie um die sattsam bekannte journalistische „Ente“ handelt, ist wohl nur all denen klargeworden, die von Tegel in irgendeiner Form betroffen sind.

Mit Sicherheit gibt es in der JVA Tegel ein großes Drogenproblem, und mit Sicherheit wird dieser oder jener Gefangene, der aufgrund seines Drogenproblems verschuldet ist, Schwierigkeiten mit seinen Mitgefangenen, die die Gläubiger darstellen, bekommen. Daß es sich dabei jedoch um Einzelfälle handelt, scheint den wenigsten Außenstehenden bekannt zu sein.

Ein Problem, was sich aber weitaus stärker bemerkbar macht, ist die wachsende Einflußnahme Rechtsradikaler, die repressive Vollzugsgestaltung sowie die Gewalttätigkeit von einigen Vollzugsbediensteten. Letzteres ist in der Teilanstalt I bei einem Vollzugsbediensteten verstärkt zu beobachten. Herr A. hat eine recht interessante Karriere hinter sich. Vier Jahre Bundeswehr, danach längere Zeit Bodyguard. Da es bei diesen Tätigkeiten diverse Schwierigkeiten gab, ging er schließlich zur Justiz. Als erstes setzte man ihn in der Teilanstalt II im Vollzugsdienst ein. Bei einer Zellenkontrolle verschwand ein höherer Bargeldbetrag. Der Schließer A. nahm wohl an, da Bargeld in Tegel verboten ist, würde der Inhaftierte keine Anzeige machen. Weit gefehlt. Der bestohlene Gefangene machte eine Meldung. Des weiteren gab es den Verdacht, daß A. Drogen in die Anstalt schmuggelt und an dem Profit aus dem Erlös beteiligt wurde. Als dies alles bekanntwurde, begann die Staatsanwaltschaft zu ermitteln. Nach unbestätigten Informationen ist A. wegen der Unterschlagung (Gesch.Z. 2 Wi ja 72/92) bereits zu einer Geldstrafe von 2.400 Mark verurteilt worden. Unter dem gleichen Geschäftszeichen wird jedoch weiter ermittelt, unter anderem wegen Bestechlichkeit, Zeugenbedrohung und so weiter. Dies alles ist jedoch noch nicht das Ende.

Am 11. Januar 94 gegen 22 Uhr wurde der Gefangene L. von dem Schließer A. zuerst bedroht, dann, nachdem alle Inhaftierten unter Verschluß waren, betrat A. die Zelle des Gefangenen L. und bot ihm an, „einen Gang zu machen“. Dann verwüstete A. die Zelle des Gefangenen L. Nachdem die Schicht gewechselt hatte, wollte L. einen Sanitäter/Arzt sprechen. Nach längerem Hin und Her kam am späten Abend der Sani und fragte, ob L. mit dem Kopf gegen den Schrank gelaufen wäre. Der Einspruch von L. am nächsten Tag beim Vollzugsdienstleiter (Spitzname „Nazi-Neumann“), daß er sich bedroht fühle, wenn der Schließer A. weiterhin auf der Station Dienst täte, blieb unbeachtet. Erst nach massiven Gesprächen, Strafantrag von L., Kontaktaufnahme mit seinem Anwalt, wurde der Schließer A. einer anderen Station zugeteilt. Auf seiner neuen Station hat es nach nicht einmal vier Wochen einen erneuten Fall von Gefangenenmißhandlung gegeben. Wie zu erwarten war, ist auch bei dieser Aktion nichts passiert, zum Beispiel eine Verwarnung oder Suspendierung des Schließers A. Letztlich ist zu sagen, daß es sich bei dem ersten Mißhandelten um einen farbigen Inhaftierten, beim zweiten um einen türkischen Mitgefangenen handelt.

Abgesehen von diesen Vorgängen gibt es auch weiterhin nichts Erfreuliches aus der JVA Tegel zu berichten. Seit dem 5.Februar gelten in der Teilanstalt I veränderte Einschlußzeiten. An den Wochenenden, die der Erholung dienen sollen, werden die Gefangenen an Samstagen eine Stunde länger eingeschlossen. An Sonntagen entfällt der Nachmittags- und Abendaufschluß völlig, so daß insgesamt 7 Stunden und 20 Minuten Freizeit ersatzlos gestrichen wurden. In der Teilanstalt II und III gilt ähnliches. Zudem beginnt man in diesen Teilanstalten, auf Grund des Belegungsdrucks, die Zellen mit zwei Inhaftierten zu belegen. Was dies im einzelnen bedeutet, kann nur der ermessen, der in einer Zelle von 5,1 m2 mit einer Bewegungsfläche von 1,1 m2 (der Rest ist mit Einrichtungsgegenständen verstellt) je gelebt hat oder zu Hause über eine Abstellkammer von gleicher Größe verfügt und sich dort für etwa 18 Stunden einschließen läßt. Die Zeiten, in denen unter der Verantwortung der Justizsenatorin ein halbwegs menschlicher Vollzug praktiziert wurde, scheinen vorbei zu sein. Die Betonfraktion scheint den Schließfachvollzug wieder einführen zu wollen, das liberale Denken in der Justiz ist offensichtlich out. W.G. aus Tegel 8