Nach der Strafhaft Sicherungsverwahrung?

■ Fernsehsendung mit dem Gefangenen Claus Goldenbaum

Es ist schon viel über Knast geschrieben und veröffentlicht worden, über Sicherungsverwahrung (SV) dagegen wenig. Vielen ist der Begriff und das, was er bedeutet, weitgehend unbekannt. Die nachfolgenden Informationen beziehen sich einerseits auf das in „Kamalatta Flugschrift 3“ veröffentlichte Buch „Totgesagte leben länger“, andererseits auf Briefe und Erfahrungsberichte des Gefangenen Claus Goldenbaum.

Zur Erinnerung: Sicherungsverwahrung ist ein Konstrukt aus dem nationalsozialistischen Faschismus, am 24. 11. 1933 festgeschrieben durch das „Gesetz gegen gefährliche Gewohnheitsverbrecher und über Maßregel der Sicherung und Besserung“. Die Unterscheidung zwischen Strafe und „Maßregel“ wird so erklärt, daß Strafe rückwirkend Schuldausgleichung und so weiter sei, während Maßregeln als Maßnahmen der Gefahrenabwehr zukunftsorientiert seien und nicht an Schuld, sondern an Gefährlichkeit anknüpfen. Schließlich könne nicht generell davon ausgegangen werden, daß die maximale Freiheitsberaubung von 15 Jahren eine Gewähr für die Sicherheit der Gesellschaft sei, so die Argumentation.

Heute wird von der Verhältnismäßigkeit gesprochen, die sich aus dem Schutz der Allgemeinheit und der vom Täter ausgehenden (unterstellten) Bedrohung ergeben soll. Im Nationalsozialismus wurden sowohl Männer wie Frauen in Sicherungsverwahrung genommen. Heute wird Sicherungsverwahrung nur für Männer ausgesprochen, im März 1988 befanden sich 231 Männer in Sicherungsverwahrung. Frauen hingegen werden heute lebenslänglich in Psychiatrien gesperrt oder verbleiben lebenslänglich in Strafhaft. Tatsache ist auch, daß der Begriff der Bedrohung beziehungsweise der Gefährlichkeit nicht nur auf Verletzung oder gar die Tötung eines Menschen bezogen ist. Claus Goldenbaum schreibt in seinem Referat zum StrafverteidigerInnentag (1993) in München: „Menschen wie ich, und da stelle ich keinen Einzelfall dar, die niemanden verletzt, geschweige denn getötet haben, können es subjektiv nur als Ungerechtigkeit empfinden, daß den materiellen Werten in dieser Gesellschaft ein höherer Stellenwert beigemessen wird als einem Menschenleben – das ist einfach schizophren und nicht nachvollziehbar.“

Wann wird Sicherungsverwahrung verhängt?

1. Wenn die Strafzeit mindestens zwei Jahre betrifft;

2. bei Vorverurteilten (sog. Symptomaten), die zweimal wegen des gleichen Deliktes mit jeweils mindestens einem Jahr abgeurteilt wurden;

3. wenn ein „Hang“ des Täters zur Begehung erheblicher Straftaten vorliegt, das heißt, wenn die Opfer seelisch oder körperlich schwer geschädigt wurden oder bei schwerem wirtschaftlichem Schaden;

4. schließlich, wenn die Allgemeinheit aufgrund des „Hangs“ des Täters gefährdet ist.

Die erste Sicherungsverwahrung darf zehn Jahre nicht überschreiten, die zweite Sicherungsverwahrung hingegen kann dann zeitlich unbeschränkt verhängt werden.Vor Ablauf der Freiheitsstrafe wird von der Strafvollstreckungskammer geprüft, ob Sicherungsverwahrung angeordnet wird. Hierzu werden sämtliche Informationen über den Gefangenen von dem jeweiligen Knast eingeholt. Wird Sicherungsverwahrung vollstreckt, kommt der Gefangene in den Sicherungsverwahrungsblock. Diese gibt es in Werl, Straubing, Bruchsal, Freiburg, Hamburg, Celle und Berlin.

Die Dauer der angeordneten Sicherungsverwahrung ist je nach Bundesland unterschiedlich, zum Beispiel in NRW drei Jahre, in Bayern fünf Jahre. Die meisten der Betroffenen sind jedoch lebenslänglich weggeschlossen. Bei Aussetzung der Sicherungsverwahrung muß sich der Betroffene einer Führungsaufsicht für einen Zeitraum von zwei bis fünf Jahren unterstellen. Während dieser Zeit kann die Führungsaufsicht über Wohn- und Aufenthaltsort mitentscheiden, Verbote aussprechen, bestimmte Orte aufzusuchen oder Menschen zu treffen. In dieser Zeit kann eine Kleinigkeit zu einem Bewährungswiderruf führen, der Betroffene kann dann sofort für zehn Jahre in Sicherungsverwahrung gesperrt werden. Für die Justiz gilt ein „Hangtäter“ per se als unverbesserlich. Diese Stigmatisierung eines Gefangenen steht im Widerspruch zum Menschenrecht auf Selbstverteidigung zur Wahrung der Würde und Identität. Die Begriffe „Hangtäter“ oder „notorischer Gewohnheitsverbrecher“ sind in der Regel willkürliche Interpretationen, die jedoch nur eine Handlungsstrategie legalisieren, das Wegsperren. Auf die unterschiedlichen sozialen und/oder politischen Aspekte und Beweggründe oder Ursachen der einzelnen Täter wird dann kaum noch Rücksicht genommen.

Zum Thema „Sicherungsverwahrung“ planen wir und das Team „Brachial TV“ am 22. März um 22 Uhr im Offenen Kanal Bremen eine 45minütige Live-Sendung mit Claus Goldenbaum. Um deutlich machen zu können, wie viele Menschen in der BRD mit Sicherungsverwahrung konfrontiert sind, rufen wir alle betroffenen Gefangenen auf, uns eine anonyme Postkarte zuzusenden, aus der folgende Kurzinfos hervorgehen:

1. Wie lange befindest Du Dich schon in Sicherungsverwahrung?

2. Droht Dir nach der Strafhaft Sicherungsverwahrung? Wie lange wirst Du weggeschlossen?

3. Weshalb bist Du eingesperrt?

Weiterhin benötigen wir dringend Hintergrundinformationen zur Sicherungsverwahrung. Gefangene, AnwältInnen und Angehörige ... schickt uns bitte Material zu: ABC Bremen St. Pauli Str. 10/11, 28203 Bremen