Bürger schrecken Bürokraten

Kulturschock in der Amtsstube: Warum die deutsche Regierung die Umwelt- Informationsrichtlinie der EU restriktiv auslegt  ■ Von Hermann-Josef Tenhagen

Nichts schreckt Bürokraten und Industrie mehr als mündige Bürger. Diesen Eindruck muß jedenfalls gewinnen, wer die seit Jahren andauernde Debatte in Deutschland um größere Informationsrechte von Bürgerinnen und Bürgern gegenüber ihren bediensteten Angestellten und Beamten verfolgt.

Anlaß der Debatte ist die 1990 von der EU verabschiedete Umweltinformationsrichtlinie. In dem drei Seiten kurzen Gesetzeswerk, gegen hinhaltenden deutschen Widerstand verabschiedet, scheint eine ganz andere Art von Verwaltungskultur durch als die in Deutschland bislang übliche. Ministerialrat Eberhard Bohne vom Bundesumweltministerium faßte die Kulturrevolution auf der Umweltmesse „Utech“ in Berlin so zusammen: „Bislang galt: Es sind Daten nur dann herauszugeben, wenn bestimmte Rechtfertigungen gegeben sind.“ Und nun muß Bohne für seinen Minister eine Richtlinie in deutsches Recht umsetzen, die verlange: „Daten sind grundsätzlich herauszugeben.“ Dahinter stecke nicht deutsches, sondern angelsächsisches Verwaltungsdenken.

Die EU-Richtlinie ist auch in Deutschland seit Anfang 1993 unmittelbar gültiges Recht, das heißt, Bürgerinnen und Bürger können sich auf sie berufen. Doch die deutschen Behörden versuchen den Zugang zu Informationen wieder einzuschränken. Mit bemerkenswerten Begründungen: Da könnte ja eine Umweltorganisation eine Behörde mit 200.000 Anfragen lahmlegen, malt etwa der Staatssekretär im Bundeswirtschaftsministerium, Heinrich Kolb, die teuflischen Bürger an die Wand.

Berufsökologen wie Onno Poppinga vom Bund für Umwelt und Naturschutz (BUND) können noch so sehr „einen Beitrag zur Demokratisierung der Verwaltungsprozesse“ einfordern und auf die bislang geringe Zahl von Anträgen verweisen. Deutsche Beamte verstehen sich als Diener des Staates, nicht der Bürger, und müssen vor aufdringlichen Wünschen geschützt werden. „Das Gesetz ist ein politischer Kompromiß“, bekennt Ministerialrat Bohne. Industrie und Verwaltung seien skeptisch gewesen, gerade die Verkehrsverwaltung habe „heftig Widerstand geleistet“. Deshalb seien die Spielräume, die die Richtlinie biete, den Informationszugang restriktiv auszulegen, vom Kabinett genutzt worden.

BUND-Geschäftsführer Poppinga findet solche Ehrlichkeit einerseits erfrischend. Andererseits: Was die Bonner Parteien da verabschieden wollten, bleibe weit hinter dem Standard in Skandinavien oder den USA zurück. Die Einschränkungen gingen sogar so weit, daß vor Gericht zu klären sei, ob der deutsche Gesetzentwurf noch der Intention der EU-Richtlinie entspreche. Aus dem Recht des Bürgers zur Information sei „das Recht der Behörde zur Informationsverweigerung geworden“.

Beispiele dafür bietet der Bonner Gesetzentwurf genügend. In der EU-Richtlinie heißt es, die Mitgliedsstaaten können einen Antrag auf Information ablehnen, wenn die öffentliche Sicherheit, die Landesverteidigung, das Geschäfts- oder Betriebsgeheimnis, der Datenschutz oder Gerichtsverfahren dies erfordern. Im Entwurf der Bundesregierung werden alle Ausschlußgründe brav übernommen und großzügig ausgelegt. Da heißt es dann wahlweise „der Anspruch besteht nicht“ oder „der Antrag soll abgelehnt werden“.

In laufenden Verfahren sollen neue Akten und Expertisen nicht herausgerückt werden. Während der Erstellung eines Bebauungsplans, also während sie Einfluß nehmen könnten, kämen die BürgerInnen so an die Akten gar nicht heran. Auch die Idee der Brandenburger Verwaltung, BürgerInnen selbst entscheiden zu lassen, ob sie eine Kopie der Akte möchten oder eine Zusammenfassung, fand in Bonn keine Gnade. Wie und wie umfangreich informiert wird, darüber entscheidet die Bürokratie.

„Es muß auch am gläsernen Schreibtisch des Beamten die Möglichkeit geben, Dinge gegen den Strich zu denken und sie nicht in der Öffentlichkeit zerreißen zu lassen“, verteidigt Staatssekretär Stroetmann die Informationsverweigerung. Die Qualität von deutschen Behördenentscheidungen leidet offenbar unter öffentlichen Debatten. Deshalb, so darf man wohl vermuten, wollte das Verkehrsministerium die Kosten-Nutzen-Analyse für die Erweiterung des Mittellandkanals trotz gültiger EU-Richtlinie dem BUND nicht zur Verfügung stellen.

Die Bundesregierung steht mit ihren Beschränkungsversuchen nicht allein. Auch der Bundesrat mit seiner satten SPD-Mehrheit mauert mit. Im Gegenteil: Die Länderkammer sorgte sich in ihrer ersten Stellungnahme zum Gesetzentwurf vor allem darum, wie die Straßenbauämter und Bauaufsichtsbehörden von der Informationspflicht für die Bürger ausgenommen werden.

„Und was macht der Bürger, wenn er wissen will, ob in der Schule seiner Kinder Asbest verbaut worden ist?“ fragt Poppinga. Antwort: Am besten wendet er sich an seinen Landesfürsten. Der hat schließlich mit beschlossen, daß Hoch- und Tiefbaubehörden Umweltschutz „lediglich bei der Erfüllung ihrer Hauptaufgabe berücksichtigen“ sollen. Eine Auskunftspflicht sei deshalb nicht nötig.

Wer immer noch neugierig ist, dem droht Vater Staat schließlich mit Gebühren. Nicht nur die Kosten der Übermittlung von Informationen, wie das auch die EU- Richtlinie vorsieht, sollen in Rechnung gestellt werden können, auch die Kosten der Ermittlung – und dies sogar, wenn der Antrag abgelehnt wird. „Das entspricht der bisherigen deutschen Verwaltungstradition“, begründet Staatssekretär Stroetmann die Gebührenschraube. Eben, ist man versucht zu sagen. Der Arbeitstag eines Inspektors kostet dann rund 300 Mark – viel Geld für den informationssuchenden Bürger. Und möglicherweise ein von der EU verbotenes zusätzliches Informationshindernis. Doch Stroetmann ficht das nicht an. „Ich sehe überhaupt nicht ein, warum eine Umweltorganisation wie Greenpeace nicht 2.000 Mark zahlen soll.“ In den USA sind diese Informationen für Umweltverbände kostenlos.

Was Umweltschützern viel zuwenig Transparenz bringt, ist der Industrie immer noch zuviel. Jürgen Fluck, Jurist beim Chemieriesen BASF, hält von der Richtlinie gar nichts: „Aus der Sicht der deutschen Industrie können solche Regelungen nicht begrüßt werden. Sie verursachen zusätzlichen Aufwand ohne positives Ergebnis.“ Industriespionage könne so erleichtert und Know-how abgekupfert werden. Selbst Störfälle könnten nämlich geheimzuhaltende Betriebsgeheimnisse darstellen.