Fragen, nichts als Fragen

■ Klasse Vorlesung: Jostein Gaarder über „Sofies Welt“

Ein rappelvoller Hörsaal in der Uni mitten in den Semesterferien? Kein Wunder bei dieser Vorlesung über ein Lebensmittel namens Philosophie. Am Donnerstag plauderte der norwegische Autor und Philosophie-Dozent Jostein Gaarder auf Einladung der Heine-Buchhandlung höchst kurzweilig über seinen Bestseller Sofies Welt und über seinen Roman Das Kartengeheimnis, der bisher noch nicht auf Deutsch erschien. Ein Briefchen mit der Frage „Wer bist Du?“ führt Sofie in die Welt der uralten Rätsel der Menschheit. Sie beginnt sich also mit Philosophie zu beschäftigen, denn „das gibt ein gutes Fundament für eigene Meinungen“, erklärt sie ihrem Lehrer.

Jugendbuch- oder Fachbuch? Gaarder beantwortet die Frage mit „ja“. Der Erkenntnis „die Welt wird niemals alt, wir werden alt“ folgend, gelte es, die kindliche Lust auf Rätsel wiederzuentdecken. Das führte er am Beispiel des kleinen Hans Thomas, dem Helden des Buches Das Kartengeheimnis, vor: Der macht sich auf nach Athen in die Heimat der Philosophie. Seine einzige Gesellschaft ist ein Kartenspiel, 52 Zwerge, die über sich und andere nichts wissen, und ein Joker, der Dinge sehen kann, für die die anderen blind sind. Weil das Leben für den Joker ein Abenteuer ist, stellt er Fragen über Fragen. „Anfangs sind wir alle Joker“, dozierte Gaarder in perfektem Deutsch, in dem die Melodie des Norwegischen mitschwang, „dann werden wir zu Herz, Pik, Kreuz und Karo, aber untendrunter ist vielleicht noch ein Joker zu finden, lebt noch die Verblüffung über das Dasein.“ Sich über das Leben zu wundern, sei eine angeborene Fähigkeit wie die von Babies, die ohne Anleitung oben schwimmen. Beides verlernt man erstmal. Den Kontakt zum Joker wieder herzustellen sieht Gaarder als die vornehmste Aufgabe der Philosophie.

Er selber habe während seines Studiums in den 70ern die Erfahrung gemacht: „Wir haben uns hinter den Antworten, den Ideologien versteckt.“ Nun will er die Philosophie wieder auf den Marktplatz holen, dorthin, wo Sokrates sie im Gespräch mit den Athenern betrieb. Aber wo sind die Marktplätze geblieben? Immer mehr Medien und Fernseh- und Radiosender splitten die Bevölkerungsgruppen, immer rarer werden allgemeine Drehscheiben für den Austausch von Ideen und Gedanken. Als Marktplatz empfiehlt Gaarder den Fundus der Kulturgeschichte, hier könne die Philosophie als sinnliches und zutiefst demokratisches Projekt beitragen, die alten Fragen wie: Woher komme ich? Wohin gehe ich? Gibt es einen Gott oder nicht? immer wieder neu zu stellen. „In unserer Kultur fällt es uns nicht leicht, zu sein“, sagte Gaarder, es zähle nur, was einer tut. Da heißt es, die kleine Sofie bei der Hand zu nehmen und sich - wie nach der inspirierenden Vorlesung - der sternklaren Nacht zu freuen. jk

Jostein Gaarder, „Sofies Welt“, Hanser-Verlag, 39,80 Mark