Kämpferisch an Kanzlers Händchen

■ Wahlcountdown: Christian Wulffs letzter Versuch, sein Image als moderates Weichei loszuwerden

Der Kandidat hatte die Nase gestrichen voll. Vor gut einem Jahr von der Jungen Union als „Clinton aus Osnabrück“ gegen Schröder geschickt, war dem 34jährigen Frontman der Niedersachsen-CDU, Christian Wulff, von den Medien das Charisma eines Sparkassenfilialleiters bescheinigt worden. Blässliches Erscheinungsbild, Konturenlosigkeit und Langatmigkeit, so das Zeugnis für den ehemaligen Bundesvorsitzenden der Schülerunion.

Nun ist Wulff es leid, als ideeller Gesamtschwiegersohn der Niedersachsen abgestempelt zu werden. Auf dem letzten der neun gemeinsamen Auftritte mit seinem vergrätzten Ziehvater Helmut Kohl am Mittwoch in Verden holte er zur Medienschelte aus: Das Zerrbild, das diese „Steigbügelhalter von Rot-Grün“ von ihm produzierten, sei eine „schlichte Schweinerei“, brauste der sonst so gemäßigte Rechtsanwalt auf. Wulff sprach von „Gleichschaltung“ der Sendeanstalten. Ein NDR-Beitrag, in dem sich Jugendliche positiv über ihn geäußert hätten, sei auf Betreiben von Schröders Staatskanzlei nicht gesendet worden, behauptete der CDU-Kandidat.

Am Ende seiner von sinkender Hoffnung auf eine Ablösung Schröders begleiteten Wahlkampf-Tournee (die Prognosen liegen zwischen 35 und 37 Prozent) scheint sich der schwer angeschlagene Wulff noch einmal gefangen zu haben, war weniger verkrampft als bei vorausgegangenen Auftritten und machte halbwegs schwungvoll in Zweckoptimismus. Der kämpferische Kandidat gefiel dem Publikum besser als das moderate Weichei. Wenn er mit betont sonorer Stimme wider den miesen Trend appellierte: „Erst am 13. März wird ausgezählt“ prasselten Beifall und Bravo-Rufe. Auch wenn die über tausend Unionsanhänger hauptsächlich gekommen waren, um dem Kanzler die Hand zu schütteln, waren auch sie vier Tage vor der Wahl offensichtlich willens, sich ihren netten jungen Saubermann nicht länger mies machen zu lassen. Sie klatschten, wo immer Wulffs Redefluß ihnen eine Chance gab.

Beim „Wasserpfennig“ für die Landwirte drohte der Fluß zu verläppern, und auch beim Thema Arbeitsplätze sprang der Funke nicht über - aber wenn er die Sprache des Grünen Ministers Jürgen Trittin mit der Schönhubers verglich, kam Freude auf. Herzlicher, wenn auch nicht frenetischer Abgangsapplaus.

Dann bestieg der Kanzler das Pult. Ohne rechtes Feuer forderte er zur Wahl des jungen Osnabrückers auf, für dessen „nachdenkliche Art und Weise“ er um Verständnis bat, um ihn sogleich wegen seiner Kritik an den Medien mit ihrem „schäbigen Journalismus“ zu schulmeistern: „Da muß man durch.“

Mehr Aufmerksamkeit verschwendete der wuchtige Regierungschef dann aber auch nicht auf den Youngster, der seine Hoffnungen auf ein positives Signal aus Niedersachsen für das Superwahljahr enttäuscht hat. In seiner einstündigen Standardrede warb er ausschließlich für die Bundes-CDU. Seit drei Stunden hatten die Kohl-Fans, oft ganze Familien, schon ausgeharrt, um den Kanzler zu hören. Verzeihlich, daß da bei seinem langatmigen Oggersheimer Singsang gelegentlich gegähnt und gehüstelt wurde. Was er redete, war ohnehin nicht so wichtig, Hauptsache, er war da. Und als er das ständige Gejammer über Arbeitslosigkeit, Umweltzerstörung und soziale Misere als „Heuchelei“ anprangerte, wurde der ganz Saal zu einem einzigen Stammtisch, der jubelnd des Kanzlers Botschaft zustimmte: „Deutschland ist schön. Uns gehts phantastisch!“ Nach einem letzten Appell zur Niedersachsenwahl standing Ovations, und fort war er.

Zurück blieb ein Christian Wulff, für den Kanzlerwohlwollen, aber wichtiger noch seine Stellung innerhalb der Opposition davon abhängen, wieviel Prozent er am Sonntag einfährt. Der bisherige Fraktionschef Norbert Gansäuer will seinen Platz nicht widerstandslos räumen. Marie Beckmann