Rotschwarz als Lebensgefühl

■ Mit dem AC Milano kommen zum zweitenmal in fünf Jahren auch die Fans nach Bremen / Die Schwarzroten suchen die altehrwürdige Juventus-Tifoserie zu kopieren - aber ohne durchschlagenden Erfolg Aus Mailand Werner Raith

Daß Gianni Versiccio ein waschechter „Rotschwarzer“ ist, bezweifelt seit langem niemand mehr. Schließlich hat er sich, obwohl nicht einmal Lombarde und auch nur außerhalb der norditalienischen Metropole (in Arese) wohnhaft, eine ansonsten für einen aufrechten italienischen Ehemann unvorstellbare Anzüglichkeit auf die Vereinsfarben des AC Milan gefallen lassen, die so klang: „Der fährt derart auf Rotschwarz ab, daß er am liebsten seiner Frau noch 'nen Iren ins Bett gelegt hätte, damit er zum schwarzgelockten Stammhalter auch noch einen rothaarigen kriegt.“

Gianni hat dem frozzelnden Inter-Fan keine Tracht Prügel verabreicht, sondern stolz gesagt: „Das tät ich auch, wenn ich sicher wäre, daß ein Roter dabei rauskommt.“ Seither begleitet ihn seine Frau, die wie er Kalabresin ist, nicht mehr ins Stadion. Tisch und Bett sind getrennt, aber Gianni hat bei der Tifoserie einen unumstößlichen Ruf absoluter Vereins-treue.

Gianni ist kein Einzelfall: Fußballnarretei als Lebensgefühl (oder Ersatz für dieses) ist im Lande der Zitronenblüte durchaus gesellschaftlich akzeptiert, ja wird bis in höchst epolitische und intellektuelle Kreise geradezu gepflegt. Allerdings hat es bisher nur ein einziger Verein geschafft, sozusagen flächendeckend ganz Italien in zwei etwa gleichgroße Lager zu teilen: Juventus Turin. Juve-Fans und Juve-Gegner durchziehen querbeet alle anderen Fangemeinden, unabhängig vom „eigenen“ Club. Genau das hat Milan unter seinem medienbeherrschenden Eigner Silvio Berlusconi seit Jahren auch angestgrebt, und Geschichten wie die des Gianni werden daher besonders gerne und intensiv kolportiert, zumal wenn der „Rotschwarze“ aus möglichst weit entfernten Regionen stammt.

Auf der Heimfahrt vom Hinspiel gegen Werder Bremen, das Milan 2:1 gewonnen hat, schwärmt Gianni seine Mitfahrer an: „Habt ihr gesehen, wie wir gewonnen haben? Glück muß man haben, und dieser Club hat Glück, Glück, Glück.“ Er sagt es, als wäre genau das der Grund, warum er sich da so wohl fühlt. Allerdings hören viele seiner Fankameraden derlei gar nicht gerne. Sie, überwiegend rational eingestellte Nordstaatler, möchten Erfolge ausschließlich auf überlegene Leistung und nicht auf das Wirken von Schicksal, Gott oder Teufel (der im übrigen ein wenig als Wahrzeichen der Milanisti gilt) zurückführen; Giannis „Glücks“-Getue können sie allenfalls als Ausfluß südstaatlerischen Aberglaubens einordnen.

Gerade die Rationalität aber, mit der sich Milan umgibt, ist jedoch der Grund, warum die Bindung an den Verein nie in solcher Gefühlsbetontheit geschieht, wie im Süden, etwa in Neapel oder Bari. Aber auch im benachbarten Turin läuft das ganz anders: Juventus wird seit einem Jahrhundert von der Fiat-Familie Agnelli gesponsert, und der Industriellenclan hat stets den Eindruck erweckt, das eigene Schicksal sei untrennbar mit ihrem Verein verknüpft. Das gibt der Fangemeinde umgekehrt eine Art Familienzugehörigkeits-Gefühl, das unverbrüchlich scheint. Mögen sich die Agnellis im Betrieb noch so arbeitnehmerfeindlich benehmen — im Stadion leiden die Proletarier mit ihrem Clubeigner mit, als wäre er einer von ihnen, wenn — wie seit Jahren — die Meisterschaft wieder mal flöten ist.

Ganz anders bei Berlusconi, der Aufsteiger und Neureiche: „Mir ist er recht, solange wir oben sind“, erklärt frank und frei Angelo Miloni, der im Bus neben Gianni Versicce sitzt und im Alfa Romeo-Betrieb neben ihm am Werkband steht, „aber wenn er Mist baut — weg damit.“ Gianni ist verzweifelt: „Man muß auch in schlechten Zeiten zusammenstehen.“ Angelo gibt nicht nach: „Wenn in einer Aktiengesellschaft das Management versagt, müssen die Manager ausgetauscht werden. Ich hab mit Berlusconi nichts zu schaffen — der schmückt sich mit unserem Geschrei im Stadion, tut so, als brüllten wir für ihn 'Forza Milan' und scheißt sich einen Dreck um unsere Gefühle.“ Das soll einmal ein Juve-Anhänger öffentlich erklären!

Zum Rückspiel wollen die im Bus versammelten Areser Rotschwarzen nahezu geschlossen hinfahren, das Hotel ist schon gebucht (anders als viele Juve-Fans verfügen die Maiänder nicht über ein weitgebreitetes Netz von Gleichgesinnten in Deutschland, bei denen sie unterschlüpfen können). Ein wenig ist freilich der Dampf schon aus der Partie heraus — man sah es am schwachen Besuch beim Hinspiel: da die Meisterschaft in Italien schon vier Spiele vor dem Ende — zugunsten Milans — entschieden ist, flacht das Interesse weitgehend ab, konzentriert sich entweder auf die UEFA-Plätze oder auf die Toto-Quoten.

Daß die Mailänder mit ihrem sprichwörtlichen Defensivkönnen die Tabellenführung in der Gruppe B der Championsleague halten können, scheint Gianni denn auch so fraglos, daß er von einer Niederlage in Bremen gar nicht erst reden mag. Kollegen, die derlei dennoch ins Auge fassen — „Schließlich haben wir seit vier Jahren keinen internationalen Cup mehr gewonnen“, wirft Bertoldo vom Fahrersitz ein —, gelten ihm als glatte Verräter am rotschwarzen Lebensgefühl, und wer auf die Unregelmäßigkeiten in der Vereinskasse hinweist, über die seit Tagen gemunkelt wird, bekommt das eher beschwörende Argument zu hören: „Wenn die den Europapokal holen, traut sich doch kein Staatsanwalt an die heran, er würde doch gelyncht.“

Das allerdings sehen seine Kumpane nicht unbedingt als ausgemacht an: „Unsere Politgrößen schienen auch unangreifbar, und jetzt kommen sie in den Knast“, sagt Angelo, und man hat das Gefühl, daß es ihm überhaupt nichts ausmachen würde, käme auch seine Vereinsbosse hinter Gitter. „Rotscharz ist das eine“, sagt er und dreht sich zu einem Nickerchen um, „die Vereinspolitik etwas ganz anderes.“