Öko-Chopper im Kommen

■ Neue FAhrradkonstruktionen sollen schneller und bequemer zugleich sein / Auch ein Ostberliner Händler baut aus Ehrgeiz eigenes Liegerad / Preise deutlich höher

Gemütlich wie ein Sofa, schnell wie ein Sportwagen und Ladefläche wie ein Lkw: Die Verbindung dieser drei Eigenschaften sollte durch ein neues Fahrradkonzept in die Praxis umgesetzt werden. „Dabei ließen wir uns von der vorläufig irrigen Annahme leiten, daß doch massenweise Leute die Autos stehenlassen müßten, wenn es Fahrräder gäbe, die ähnlich bequem sind“, so Dieter Baumann, Inhaber der Fahrradwerkstatt Radnabel aus Tübingen gegenüber der tageszeitung. Der Diplom-Ingenieur hatte vor fünf Jahren mit der Entwicklung des Alltagsliegers „atl“ begonnen.

Baumann betont ausdrücklich die Einzigartigkeit seiner Konstruktion: „Wir grenzen es ab gegen die nur gemütlichen Reiseliegeräder und die nur schnellen, gefährlichen Rennlieger.“ Auffällig im Gegensatz zu anderen Liegerädern ist vor allem der konventionelle Lenker, anstatt der üblichen Steuereinrichtung unter den Oberschenkeln. Außerdem ist der „atl“ kein richtiger „Lieger“: In Verbindung mit dem hochgezogenen Lenker sitzt man eher wie in einem Chopper. Das dürfte konventionellen Radfahrern die Umstellung leichter machen.

In Sachen Sicherheit lassen sich Rennlieger-Fans jedoch nichts nachsagen: „Ich wüßte nicht, warum Rennlieger gegenüber anderen Liegeradkonstruktionen irgendwelche Defizite hätten“, weist Sabine Goldmann den Vorwurf zurück. Einen Vorteil räumt sie dem Radnabel-Gefährt allerdings ein: „Durch die etwas höhere Sitzposition wird man von Autofahrern besser gesehen.“ Die 50jährige Sportlehrerin schwört trotzdem auf ihren Aeroprojekt-Rennlieger. Da sie in verschiedenen Projekten versucht, Schüler für das Fahrrad zu begeistern, legt sie auch ein wenig Wert aufs Image: „Wenn ich mit meinem Tretporsche vorfahre, macht das doch viel mehr Eindruck als mit einem schwerfälligeren Modell. Auch ökologische Verkehrserziehung funktioniert nicht ohne public relations.“ Doch auch das geringe Gewicht (11,5 Kilo) und die etwas geringeren Ausmaße haben sie zum Rennlieger bewogen.

Wer es allerdings gerne bequem hat und auch schon mal was transportieren muß, ist beim „atl“ besser aufgehoben. Mit 17,5 Kilo Gewicht in der Grundausstattung ist er mit einem durchnittlichen Hollandrad vergleichbar. Auch die Länge – je nach Rahmengröße zwischen 187 und 199 Zentimeter – liegt nur unwesentlich über der normaler Fahrräder. „Was die Sicherheit anbelangt, so zeichnet er sich vor allem durch sein gutes Trommelbremssystem aus“, erläutert Ernst Steinhauer vom selbstverwalteten Fahrradgeschäft Ostrad. Vor allem auf die Spursicherheit auch bei nasser Fahrbahn verwies die Zeitschrift Aktiv Radfahren vor gut einem Jahr in ihrem Fahrbericht. Neben den Trommelbremsen sei dies auf die Federung zurückzuführen.

Steinhauer ist kein Fan von Rennliegern und hat den „atl“ ins Herz geschlossen, weil er „viel mehr Bequemlichkeit bietet und aufgrund seiner hohen Transportkapazität sehr praktisch ist“. Mit zwei Gepäckträgern und einem Transportkorb, in den locker ein Kasten Wasser hineinpaßt, ist er tatsächlich ein Packesel unter den Fahrrädern.

Trotzdem ließ Ostrad es sich nicht nehmen, selbst ein Liegerad zu konzipieren. „Neben dem Ehrgeiz, so etwas mal selbst in die Hand zu nehmen, waren es auch einige technische Details am ,atl‘, die uns verbesserungswürdig erschienen“, erläutert Steinhauer den Anstoß zu diesem Vorhaben. Das Ostrad- Modell greift vor allem wieder auf die althergebrachte Lenkeinrichtung unter den Oberschenkeln zurück. Das sei anfangs zwar ein ungewohntes Fahrgefühl, doch andererseits laufe man nie Gefahr, mit den Knien an den Lenker zu stoßen, argumentierten die Ostradler. Zudem schwören die meisten Liegeradfans auf die Bequemlichkeit dieses Konzeptes.

Völlig anders ist bei Ostrad auch die Kettenkonstruktion. Dazu Steinhauer: „Wir haben zwei Ketten über einen mittleren Zahnkranz miteinander verbunden, so daß wir eine größere Kapazität der Schaltung mit zugleich feiner Abstufung erreicht haben.“ Von der Grundidee her orientiert sich auch dieses Modell an der Alltagstauglichkeit, also an hoher Transportkapazität und Bequemlichkeit.

Wenn es jedoch an den Preis geht, ist es um die Alltagstauglichkeit der Liegeräder noch nicht gut bestellt. Der „atl“ ist mit seinen 4.200 Mark in der Grundaustattung nicht gerade ein billiges Fahrrad. „Der größte Teil der Kosten wird beim Rahmenbau verursacht“, erklärt Steinhauer. „Da Liegeräder nur in geringen Stückzahlen produziert werden, liegt der Stückpreis entsprechend hoch.“ Erst bei Produktionszahlen von etwa 1.000 Stück käme man eventuell auf das Preisniveau normaler Fahrräder, so der Velo-Fachmann.

Hier liegt auch ein Handicap des Alltagsliegers: Da Baumann, um technisch höchstes Niveau zu erreichen, vieles selber konzipiert hat, dürfte es schwerfallen, das Modell in großen Stückzahlen zu produzieren. Ostrad hat zwar schon vorgebeugt und bei der eigenen Konstruktion konsequent auf bestehende Technik zurückgegriffen, doch auch hier liegt der Preis noch bei etwa 3.700 Mark. Von industrieller Massenproduktion können beide Hersteller bisher nur träumen. Lars Klaaßen