„Einige kleinere Probleme“

■ Pressekonferenz der Türkei auf der ITB über die touristische Zukunft des Landes

„1993 war ein positives Jahr für die Türkei mit einigen kleineren Problemen im Bereich Tourismus“, verkündete Tourismusminister Professor Abdülkadir Ates eingangs einer Pressekonferenz der Türkei auf der Internationalen Tourismusbörse in Berlin. In nüchternen Ziffern: Über 7 Millionen Touristen, 4 Milliarden Dollar Einnahmen, eine Steigerung von 8,8 Prozent zu 1992. Dabei hätte es bei den „deutschen Freunden eine kleine Abnahme“ gegeben, von 1.165.000 im Jahr 1992 auf 1.119.000 im Jahr 1993.

Dann verbreitete der Tourismusminister mit der Brechstange ungebrochenen Optimismus für das laufende Tourismusjahr. Die staatlichen Zielvorgaben für dieses Jahr sind überaus hochgesteckt: 7,5 Millionen Touristen sollen 4,5 Milliarden Dollar in der Türkei ausgeben. Mit arger Penetranz buhlte der ranghöchste Tourismuswerber vor allem um den deutschen Markt, um die „deutschen Freunde“. „Wir glauben, daß dieses Jahr 1,5 Millionen Deutsche in die Türkei kommen.“ Hier ist wohl der Wunsch der Vater des Tourismusgedankens. Denn die Art, wie Ates die Urlauber geradezu einzeln herbeiredet, zeigt, daß Tourismusbranche und -ministerium in der Türkei hochgradig verunsichert sind.

Denn nicht nur bei Europas größtem Reiseveranstalter, der TUI, hat es „dramatische Einbrüche“ gegeben. Die Bomben in Antalya und im Ferienzentrum Kușadasi im vergangenen Sommer haben Wirkung gezeigt. Allein bei der TUI gingen daraufhin 25.000 Stornierungen ein. Und für dieses Jahr verzeichnet man, so Pressesprecher Rainer Ortlepp, 50 Prozent weniger Buchungen. Da hilft dann auch keine Statistik, derzufolge 95 Prozent aller deutschen Urlaubsgäste „zufrieden und glücklich“ (Ates) die Türkei verlassen.

Die PKK, die Arbeiterpartei Kurdistans, wollte und will auch in Zukunft mit ihren Bombenanschlägen den türkischen Tourismus lahmlegen und damit die Wirtschaft treffen. Doch diese „isolierten Vorgänge“ könnten überall passieren, sagte Ates, „in Berlin, Frankfurt, Rom, Venedig, Madrid, New York“. Der Terrorismus sei ein globales, kein türkisches Problem. Wie in solchen Fällen üblich, schob er den Schwarzen Peter an der prekären Situation auch „einigen Kampagnen im Ausland“ zu. Doch die „Nachrichten in der Presse“, die Sicherheit in der Türkei sei nicht gewährleistet, seien falsch. „Unsere Touristenzentren sind genauso sicher wie die in Spanien und Italien, vielleicht sogar sicherer“, versicherte Ates.

Die Anschlagspolitik der PKK trifft die türkische Tourismuspolitik im Kern. Unruhe im Land kann die sensible Tourismusbranche am wenigsten gebrauchen. Denn die „weiße Industrie“ ist eine der Schlüsselindustrien in der Türkei. Wachstum um jeden Preis ist die Devise. Für das Jahr 2000 prognostiziert der touristische Wachstumsminister einen Ausbau der Bettenkapazität auf eine Million. Damit will man 13 bis 14 Millionen Gäste jährlich bewirten und etwa 10 Milliarden Dollar einnehmen. Ein gewaltiges Vorhaben, bedenkt man, daß der Tourismus eine noch junge Wirtschaftsdisziplin in der Türkei ist (1978 kamen legilich knapp eine Million Touristen).

In Zukunft soll sich der Tourismus neben den Küsten an Mittelmeer und Ägäis auch in andere Gebieten verlagern, beispielsweise nach Anatolien, kündigte Ates an. Außerdem soll die Infrastruktur für den Ökotourismus geschaffen werden, der Wintertourismus gefördert, der Jachttourismus aufgestockt werden.

Zum zwanghaften Standardrepertoire eines jeden Tourismusministers gehört inzwischen, den Einklang von Tourismus und Umwelt zu beschwören – trotz allen Wachstumsstrebens. In der Türkei geschieht das mit einer Schwemme von „Gütesiegeln“: ein „Tannenbaumsymbol“ für die umweltfreundlichsten Hotels, ein „Ankerzeichen“ für die umweltfreundlichsten Jachthäfen, ein „Delphin“ für saubere Jachten. Die türkische Küste sei die sauberste am Mittelmeer, referierte Ates.

Die „deutschen Freunde, unsere Ehrengäste“, hätten Sehnsucht nach unberührter Natur und sauberem Wasser. Wohl wahr. Wahr auch, daß die kurdischen Bürgerkriegsgebiete im Südosten 1.500 Kilometer entfernt von den Touristenzentren liegen. Doch solange die Kurdenfrage in der Türkei nicht politisch gelöst ist, kann der Schuß leicht nach hinten losgehen – durch weitere Anschläge und Bomben auch auf „unsere deutschen Freunde“. Günter Ermlich