Siedler für israelische Soldaten tabu

Nach Aussage eines hohen israelischen Militärs hatten die Truppen in den besetzten Gebieten zur Zeit des Massakers von Hebron strikten Befehl, auf keinen Fall auf Siedler zu schießen  ■ Aus Tel Aviv Amos Wollin

Die israelischen Soldaten in den besetzten Gebieten hatten zur Zeit des Massakers in der Moschee von Hebron den Befehl, auf gar keinen Fall auf jüdische Siedler zu feuern. Auch nicht in dem Fall, daß diese gezielt auf Palästinenser schießen. Das erklärte der Kommandant der Grenzschutzeinheiten in Hebron, Meir Tayar, am Donnerstag vor der Schamgar-Untersuchungskommission.

Die nach ihrem Leiter, dem Vorsitzenden des obersten israelischen Gerichts, Meir Schamgar, benannte Kommission soll die Umstände des Blutbades vom 25. Februar klären. In den frühen Morgenstunden des Tages hatte der Siedler Baruch Goldstein in der Hebroner Ibrahimi-Moschee nach israelischen Angaben 29 betende PalästinenserInnen erschossen und über hundert verletzt. Insgesamt gab Goldstein mindestens 110 Schüsse ab, bis er von PalästinenserInnen überwältigt und mit einem Feuerlöscher erschlagen wurde.

Nach Tayars Ansicht hätten israelische Soldaten aufgrund der Anweisungen überhaupt keine Möglichkeit gehabt, die Bluttat zu verhindern. Nach Befehlslage hätten sie vielmehr in Deckung gehen und Goldstein unbehelligt schießen lassen müßen. Erst in einer Schußpause hätten sie versuchen dürfen, den Siedler vom Weiterfeuern abzuhalten, ohne dabei jedoch von den eigenen Waffen Gebrauch zu machen. Das von Tayar beschriebene Szenario ist freilich fiktiv, da zur Zeit des Blutbades nur einer der sechs diensthabenden Wachsoldaten an seinem Platz in der Moschee war. Warum seine Kollegen abwesend waren, ist weiterhin unklar.

Der Befehl, keine Schußwaffen gegen Siedler einzusetzen, wurde laut Tayar vor einigen Monaten vom Kommandanten der israelischen Streitkräfte im Gebiet von Hebron, Generalmajor Meir Kalifi, bei Offizierskonferenzen mündlich erteilt. Eine schriftliche Version soll es nicht geben.

Nach Aussagen hoher israelischer Offiziere soll das Verbot im Dezember vergangenen Jahres vom Oberkommando der Streitkräfte erlassen worden sein, nachdem es mehrfach zu Konfrontationen zwischen Militär und Siedlern gekommen war. Offiziere im Militärhauptquartier behaupten dagegen, Tayar habe bestehende Schießbefehle schlicht „mißverstanden“.

Der Chef des Knesset-Ausschusses für Außenpolitik und Sicherheit, Reservegeneral Ori Orr, bezeichnete die von Tayar zitierten Instruktionen als „verblödet“. Ministerpräsident Jitzhak Rabin nahm die Enthüllung dagegen zum Anlaß, um die Armee und ihre Offiziere zu loben. „Mich schmerzt es sehr, daß es manchmal zu schwierigen Entwicklungen und zur Aufdeckung von Mißständen kommt“, beschrieb der Regierungschef seine Gefühlslage.

Der frühere Divisionsgeneral im Libanonkrieg, Amos Jaron, meinte gar, das Massaker von Hebron hätte gar nicht von einer Untersuchungskommission geprüft werden dürfen. Die Angelegenheit wäre besser gemeinsam von der politischen und militärischen Führung des Staates zu erledigen gewesen. Jaron hat selbst leidvolle Erfahrungen mit ähnlichen Kommissionen. Wegen seiner Verwicklung in die Massaker in den libanesischen Palästinenserlagern Sabra und Schatila war er von einem solchen gerügt worden.