UNHCR: Keine Entwarnung für Bosnien

■ Ein Toter nach Beschuß von Blauhelmen / Luftangriffsbefehl zurückgezogen

Split (taz) – Obwohl die militärischen Auseinandersetzungen zwischen „Kroatischem Verteidigunsrat“ HVO und bosnischer Armee abgeklungen sind, hat sich weder die humanitäre noch die militärische Lage in Bosnien entspannt. Nach wie vor greifen serbische Truppen in Restbosnien an.

Auch gestern wurde das Industriegebiet von Tuzla mit schwerer Artillerie beschossen, obwohl die Serben vorher zugesagt hatten, den dortigen Flughafen in wenigen Tagen für Hilfsflüge zu öffnen. Die muslimische Enklave Bihać im Nordwesten der exjugoslawischen Republik war schweren Angriffen der bosnischen Serben und der mit ihnen verbündeten Truppen des Geschäftsmannes Fikret Abdić ausgesetzt. Gestern kam es dort zu einem Zwischenfall, der fast eine neue Nato-Aktion ausgelöst hätte. Nachdem eine französische UN- Einheit von der serbischen Seite beschossen worden war, forderte deren Kommandant Luftunterstützung durch die Nato an. Als die Flugzeuge auftauchten, wurde der Beschuß umgehend gestoppt, hieß es gestern in Split. Der britische Kommandeur der UNO-Truppen in Bosnien, General Michael Rose, sah daraufhin keine Notwendigkeit für den Nato-Einsatz mehr. Ein französischer Blauhelm-Soldat kam bei dem Angriff ums Leben.

In der Region um Maglaj gingen derweil 15.000 serbische Soldaten gegen die bosnischen Verteidiger vor. Nach Angaben des Vizekommandeurs der bosnischen Armee, Jovan Divjak, haben die Bosnier dort lediglich 8.000 Soldaten zur Verfügung. Unklar bleibt weiterhin, wie sich der HVO im nahegelegenen Zepće verhalten wird. In den letzten Monaten war die kroatische Miliz in dieser Region mit den Serben verbündet gewesen, nunmehr aber müßte sie gemäß dem kroatisch-bosnischen Abkommen die Seiten wechseln. Bis gestern abend war dies noch nicht geschehen. Seit Oktober letzten Jahres müssen die belagerten Menschen in Maglaj mit den Lebensmitteln, die aus der Luft abgeworfen werden, auskommen. Ein Hilfskonvoi des UN-Hochkommissariates für Flüchtlinge (UNHCR) wird von serbischen Milizionären nach wie vor an der Weiterfahrt nach Maglaj gehindert.

Auch in Zentralbosnien ist die Versorgungslage unverändert katastrophal: Zwar können seit dem kroatisch-bosnischen Waffenstillstand Hilfskonvois wieder dorthin gelangen. Aber was nutzen die Konvois aus Belgrad, die seit Anfang März wieder achtmal pro Woche liefern, wenn im Januar und Februar nur 25 Prozent der erforderlichen Lebensmittel Tuzla erreichten? Und wenn die Konvois, die vom kroatischen Metković aus nach Tuzla fahren, die Straße zwischen Zenica und Tuzla benutzen müssen, die nach wie vor von serbischer Artillerie beschossen wird? Erfüllt werden konnte das Soll in diesem Monat bisher nur in Sarajevo und in Zenica.

In den „UN-Schutzzonen“ Goražde, Srebrenica und Zepa dagegen müssen die Menschen weiter hungern. Gestern gelang es erstmals seit Monaten, 11 Tonnen Diesel nach Goražde zu transportieren. „Wir können keineswegs Entwarnung geben, was die humanitäre Lage betrifft“, faßte Alenka Lisinski, die Sprecherin des UNHCR in Zagreb, die Lage in der umkämpften Nachbarrepublik zusammen. Erich Rathfelder