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Sehnsucht nach Axel Cäsar Springer

Den Redakteuren des Springer-Flaggschiffs „Die Welt“ wird ihr Blatt zu braun: Sie leisten Widerstand gegen die rechten Ideologen Rainer Zitelmann, Heimo Schwilk und Ulrich Schacht  ■ Von Michaela Schießl

Berlin (taz) – Abteilung Zeichen und Wunder: Ausgerechnet die Redakteure der erzkonservativen Welt proben den Aufstand. Aus spektakulärem Grund: Das Banner, das Redaktionsdirektor Manfred Geist auf dem Springer- Flaggschiff hißte, ist den meisten entschieden zu braun.

„Wir dachten, nach Enno von Loewenstern kann es nicht mehr schlimmer kommen. Das war ein Irrtum“, klagt ein Redakteur. Es kam schlimmer. Denn Rainer Zitelmann nahm am 1. Dezember das Zepter der samstäglichen „Geistigen Welt“ in die Hand. Ganz im Sinne seines Chefs: Militärfetischist Geist (Spitzname: „Manöver-Mani“) hatte bei Übernahme der Welt-Herrschaft gefordert, das Blatt müsse politischer werden, eindeutiger rechts stehen.

Das gelingt dem 37jährigen Historiker Zitelmann, dem die Zeit Unbefangenheit gegenüber der nationalsozialistischen Zeit bescheinigt, prächtig. Im Schulterschluß mit dem neuen Kulturchef Heimo Schwilk und Kulturreporter Ulrich Schacht (beide von der Welt am Sonntag herbeigeeilt) reißt er das Ruder energisch nach steuerbord.

Der Redaktion indes riß der Geduldsfaden, als ein unsägliches Pamphlet von Will Tremper über Spielbergs Film „Schindlers Liste“ erschien. Laut Autor Tremper waren die SS-Offiziere nicht so schießwütig und korrupt wie von Spielberg dargestellt. Zum Beweis wird aus der Posener Rede Himmlers zitiert, der seinen bemitleidenswerten Schlächtern gut zuredete, das nervenaufreibende Ermorden der Juden durchzuhalten. Zugleich zeigt Tremper Verständnis dafür, daß die überlebenden Juden ihre Leidenszeit im nachhinein „dramatisieren“.

Aufgeschreckt bat die Redaktion Verlagschef Günter Prinz zum Gespräch. Der gab zu, der Abdruck sei ein Fehler gewesen. An der generellen Ausrichtung des Blattes sei jedoch nicht zu rütteln. Die Redakteure starteten eine Unterschriftenliste. Fast vollzählig forderten sie ein Gespräch mit dem Kulturtrio. Am Donnerstag abend war schließlich Krisensitzung. Zitelmann, Schacht und Schwilk stellten sich, Manfred Geist moderierte. „Einen erbärmlichen Eindruck“ hätten sie gemacht, so ein Redakteur. Geist habe Schacht vor lauter Mitleid gar in Schutz genommen. Man habe schließlich schon von seinem Wirken in der Welt am Sonntag her gewußt, daß Schacht die Haßkappe aufhat, wegen seiner Gefängniszeit in Bautzen. Eine Redakteurin: „Wenn mein Sohn die Haßkappe aufhat, sperr' ich ihn ins Zimmer.“

Die rechte Troika indes läßt sich nicht einsperren. „Die sind keinen Millimeter von ihren Auffassungen abgewichen“, berichtet ein frustrierter Redakteur. Nur Geist hätte versucht, zu schlichten. Solche Artikel, so der Vorschlag des Redaktionsdirektors, sollten nicht mehr so massiert auftreten, alle drei Monate würde genügen.

Den meisten Redakteuren indes reicht es schon jetzt. „Viele sehen sich nach neuen Jobs um. Hier hat keiner Lust, den ,Republikanern‘ den Steigbügel zu halten“, sagte ein Redakteur nach der Krisensitzung. Doch vielleicht sind die neuen Denker in der Welt ganz froh, wenn ihre Mannschaft desertiert. Kulturchef Schwilk („Kollegen vom Neuen Deutschland sind in der Welt untragbar“) zeigt sich gelassen ob des Protestes seiner Redakteure: „Das ist der Aufstand des Schlammes gegen den Berg.“

Dabei sind es die Redakteure, die die braune Soße aus dem Blatt halten wollen. In der heutigen Ausgabe der Welt ließ man Ignatz Bubis, den Vorsitzenden des Zentralrats der Juden, schreiben.

„Der Trend im Kulturressort ist schlimm“, sagte Bubis vorab, „doch noch gibt es Leute, die gegenhalten.“ Denn spätestens seit der Ausgabe vom vergangenen Sonnabend schwilkt der Redaktion der Hals: Enthemmt kritisiert Zitelmann das neurotische Verhalten der „domestizierten Konservativen“: „Das Doppeltrauma der Niederlagen von 1933ff. und 1968ff. wirkt bis heute bei Konservativen in Deutschland fort.“ Neurotisch, ängstlich und feige sei der Großteil der Kräfte, die sich als nicht linksstehend verorten, teufelt Zitelmann. „Schon die Erwähnung eines Namens wie Ernst Nolte oder einer Zeitung wie der Jungen Freiheit führt zu einem Distanzierungsreflex“, schreibt der Rechtsausleger und Ullstein-Lektor.

Zwei Seiten vorher durfte Ulrich Schacht seinen Geist ausbreiten. Er beklagte in seinem Aufmacher „Ländchen oder Vaterland?“ den „Nationalmasochismus“ zeitgenössischer deutscher Dichter wie Günter Grass oder Patrick Süßkind. – Wer solche Texte nicht toll findet, wird mundtot gemacht. „Warum wurde das gedruckt?“ empörte sich ein Redakteur bei der Ressortleiterkonferenz über den Tremper-Text. Statt einer Antwort erhielt er nach der Sitzung die Auskunft, er sei bei zukünftigen Besprechungen unerwünscht.

Der neue Stil des Hauses schockt selbst die Kinder und Enkel von Axel Cäsar Springer, dem die Aussöhnung mit dem jüdischen Volk ein zentrales Anliegen war. „Wohin treibt das Lebenswerk unseres Vaters und Großvaters?“ sorgen sie sich in der Zeit. Mit ihnen sorgen sich die Springer-Schreiber. Daß man den erzkonservativen Verlagsgründer einmal derart vermissen würde, hätten sie sich nicht träumen lassen.

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