175er abgeschafft

■ Aber neue Zwänge für Schwule

Bonn (taz) – Eine „historische Stunde“ sah der Schwulenverband in Deutschland (SVD) heraufziehen, und auch die ParlamentarierInnen waren um große Worte nicht verlegen: Mit großer Mehrheit hat der Bundestag in Bonn am Donnerstag abend den Paragraphen 175 des Strafgesetzbuches gestrichen. Ersatzlos fiel das „Symbol der Unmenschlichkeit“ (so Justizministerin Sabine Leutheusser- Schnarrenberger) allerdings nicht. Die Bundestagsabgeordneten beschlossen eine neue Jugendschutzvorschrift (Paragraph 182), die Jugendliche unter 16 Jahren unabhängig von ihrem Geschlecht vor sexuellem Mißbrauch bewahren soll.

Die neue Regelung gilt als Kompromiß zwischen liberalen Rechtspolitikern und den Wahrern konservativer Werte in der CSU, an deren Opposition die Streichung des 123 Jahre alten „Schwulenparagraphen“ zu scheitern drohte. Das Gesetz stellte nach seiner letzten Reform im Jahr 1973 homosexuelle Handlungen von Männern mit männlichen Jugendlichen unter 18 Jahren unter Strafe – Lesben kamen in ihm nicht vor. Künftig gilt das Jugendschutzgesetz, das sexuellen Mißbrauch bislang nur bei Mädchen unter 16 Jahren definierte, auch für männliche Jugendliche dieses Alters.

Interessenvertretungen wie der Bundesverband Homosexualität (BVH) und der Schwulenverband begrüßten die rechtliche Gleichstellung von Hetero- und Homosexualität, wandten sich aber scharf gegen die Anhebung der „Schutzaltersgrenze“. Die Abgeordneten von Bündnis 90/Grüne und PDS/ Linke Liste hatten wie die Homosexuellen-Verbände mit Hinweis auf das sexuelle Selbstbestimmungsrecht die ersatzlose Streichung des Paragraphen 175 gefordert.

Strafbar ist nach dem Jugendschutzgesetz das Ausnutzen einer Zwangslage oder die vorherige Zahlung eines Entgelts sowie sexuelle Handlungen mit Jugendlichen, denen die „Fähigkeit zur sexuellen Selbstbestimmung“ fehlt. Der Staatsanwalt muß das Delikt allerdings nur dann verfolgen, wenn das Opfer Anzeige erstattet.

Die Abgeordnete Christina Schenk (Bündnis 90/Die Grünen) kritisierte, die neue Regelung erzeuge Rechtsunsicherheit. Sie werde bei Auseinandersetzungen vor Gericht immer dazu führen, daß Jugendliche auch noch „wegen der vermeintlich fehlenden Fähigkeit, selbst über die eigene Sexualität zu bestimmen“, gedemütigt würden.

Als Erfolg eigener Bemühungen begrüßte der Bundesverband Homosexualität, daß die im alten Paragraphen 175 verankerte „Stricherklausel“ weiter gelten wird. Danach kann das Gericht von der Bestrafung absehen, wenn das Unrecht der Tat bei der Berücksichtigung des Verhaltens des Opfers gering ist. mon

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