Mit Überschall durchs Studium

■ Gesichter der Großstadt: Der dreiundzwanzigjährige Ivo Szarvasy hat das Studium der RRaumfahrttechnik in fünf Semestern absolviert: Ostler sind motivierter

„Anfangs habe ich Mathe gehaßt“, erzählt Ivo Szarvasy und lehnt sich in den Sessel zurück. „In der ersten Klasse hat mich meine Mutter alle Mathehefte abschreiben lassen und mit mir Mathe gepaukt, damit ich in der Schule bessere Noten bekomme.“ Über diese Startschwierigkeiten lächelt Ivo heute amüsiert, denn aus dem anfänglichen Desinteresse entwickelte sich schnell eine Leidenschaft. Eine Leidenschaft, die es möglich gemacht hat, was viele Studenten und Professoren schlichtweg für unmöglich halten: Ivo Szarvasy (23) hat in gerade mal fünf Semestern an der TU Berlin ein ganzes Studium in Luft- und Raumfahrttechnik hingelegt. Regelstudienzeit in dem Fach sind zehn Semester. Im Durchschnitt brauchen „normale“ Studenten aber 15 Semester für den Abschluß. Und Ehrungen blieben nicht aus: Jetzt erhielt Ivo zusammen mit 13 anderen Studenten den mit 8.000 Mark dotierten Erwin- Stephan-Preis. Honoriert wurden kurze Studienzeiten plus sehr gute Abschlüsse.

Ein „Speedy Gonzalez“ der Wissenschaft? Als sich die Tür zu der Wohnung öffnet, zeigt sich kein blasser, anämischer Student mit einer dicken Hornbrille. Ivo Svarvasy ist ein sportlich-lässiger Mann. Zusammen mit seiner hübschen Frau Anna, die er letztes Jahr geheiratet hat, wohnt er in einer großen Altbauwohnung am Prenzlauer Berg. Nach einem langen Arbeitstag in einer Software- Firma kommt er müde in das gemütliche Heim zurück. Gesicherte Verhältnisse – genau das hat Ivo an seiner Kindheit in Ost-Berlin geschätzt. Die Eltern forderten von ihm und seinen drei Geschwistern aber auch überdurchschnittliche Leistungen. „Mit der Mathematik und dem Bauen von Modellen habe ich mich früh vor dieser Strenge geflüchtet“, erinnert sich Ivo, „andererseits hätte ich sonst wahrscheinlich nicht eine solche Arbeitsdisziplin entwickelt.“

Ein Studium in fünf Semestern – aus Ivos Mund hört sich das ganz einfach und logisch an. Nach dem Besuch einer Mathespezialschule und einer Ausbildung als Flugzeugmechaniker bei der „Interflug“ stand Ivo nach der Wende erst mal vor dem Nichts. Bewerbungen bei der Lufthansa für eine Pilotenausbildung blieben zuerst fruchtlos. So entschied sich Ivo für das Studium der Luft- und Raumfahrttechnik. „Das erste Semester mit 35 Wochenstunden hat mich nicht ausgelastet und dann die langen Semesterferien, das war ich von meiner vorherigen Arbeit nicht gewohnt.“ Ivo entschloß sich deshalb, sein Grundstudium im zweiten Semster abzuschließen. Seine Studienbedingungen nennt er ideal: niedrige Miete, Bafög und zuerst noch mal keine Freundin. Mit 55 Wochenstunden startete Ivo in das zweite Semester, absolvierte elf Klausuren und bestand. „Ein Professor wurde auf mich aufmerksam und hat mich für ein Stipendium vorgeschlagen“, erzählt Ivo mit einem leicht ironischen Lächeln: „Bis ich das bekommen hätte, war ich aber schon längst mit dem Studium fertig.“ Ivo faßt nun den Plan, das Studium in vier Semestern durchzuziehen. Zwischendurch verliebt er sich in seine jetzige Frau, opfert die Wochenenden und holt unter der Woche mit einem horrenden Stundenplan sein Arbeitspensum nach. „Manchmal war's schon ziemlich extrem, da habe ich bis um fünf Uhr morgens gearbeitet und bin um sieben Uhr wieder in die Uni“, erzählt Ivo lachend über seine eigene Besessenheit. Warum aber das Studium so schnell durchziehen? Ivo glaubt, daß neben dem Interesse für das Fach auch die plötzliche Orientierungslosigkeit in der DDR nach der Wende eine Rolle spielte. „Daß ich wie wild im Studium geackert habe, kam auch daher, weil ich die Relationen noch nicht einschätzen konnte“, meint er rückblickend. Andererseits hält er Studenten aus der ehemaligen DDR grundsätzlich für motivierter. „Die Studenten aus dem Westen sehen das alles ziemlich locker und denken sich, daß sie sowieso so schnell keinen Job bekommen. Die Studenten aus den neuen Bundesländern, die ich kenne, haben eine viel höhere Arbeitsmoral.“ Sein Freund wird sein Studium jetzt nach sieben Semestern abschließen.

Mit seinem Diplom hat Ivo sich nicht von der Universität verabschiedet. Momentan arbeitet er an seiner Dissertation und versucht, dafür täglich zwei Stunden von seiner Freizeit zu opfern. Und Wünsche? Ivos Traumziel ist es, einmal in der NASA zu arbeiten. Auf jeden Fall möchte er irgendwann etwas Großes entwickeln, etwas, was nicht alltäglich ist. Daneben sollen auch Frau und Kinder Platz und Wohlstand haben.

Das Gefühl, durch sein Akkord- Studium etwas versäumt zu haben, ist ihm fremd. Im Gegenteil: „Für mich war das Studium die schönste Zeit meines Lebens“, erklärt Ivo enthusiastisch. „Wenn ich nach einem harten Unitag in der U-Bahn gestanden bin, da hatte ich das Gefühl, wirklich was geschafft zu haben.“ Julia Seidl