Mit 50 Rosen unter den Hellhäutigen

■ Robert Schneiders Monolog „Dreck“ im Studio des Maxim Gorki Theaters

Wenn derzeit ein Theatertext Konjunktur hat auf deutschen Bühnen, dann ist es Robert Schneiders „Dreck“. Dieser Monolog eines Rosenverkäufers aus dem Irak ist ja auch wirklich die ideale Studioproduktion: Thema aktuell, Aufwand gering, Aussage mehrdeutig.

Denn der Protagonist Sad appelliert keineswegs an das „Wir sind doch alle Ausländer“-Gefühl seiner deutschen Umgebung. Im Gegenteil, er pocht auf die Unterschiede. Er ist nicht demütig, wiewohl er die Hellhäutigen als kulturell meilenweit über sich stehend empfindet. Er weiß, daß sie vor ihm Angst haben, denn schließlich repräsentiert er ja Massen, bedrohliche Horden, die über die Grenzen drängen. Die Figur changiert zwischen zahlreichen Ausländer- und Inländerklischees, ist uneinheitlich, aggressiv sehr oft, traurig nur manchmal. „Dreck“ ist paradox und provokant.

Vor einigen Wochen kam das Stück als Produktion der Schiel & Sasse GmbH in Potsdam heraus, in der Regie von Ulrike Jackwerth und mit Heribert Sasse als Sad. Jetzt hatte es im Studio des Maxim Gorki Theaters Premiere. Carl- Hermann Risse inszenierte, und Michael Seyfried spielt. In beiden Fällen hat man den Text stark gekürzt, jeweils anders. Während Jackwerth/Sasse die Widersprüchlichkeiten bestehen ließen, einen aggressiven Typen zeigten, der sich manchmal selbst mit seinen Positionen nicht auskennt, haben sich Risse und Seyfried für eine eindeutige Version entschieden.

Seyfried ist ein sensibler, zarter, leiser Sad, der immer wieder Tränen herunterschlucken muß und sich Mut macht mit Sätzen wie: „Im englischen bedeutet Sad traurig. Aber ich bin nicht traurig.“ Man könnte dies wörtlich verstehen, aber Seyfried spricht es als Selbstsuggestion.

Textbrüche, wie wenn Sad uns plötzlich rät, uns zu wehren gegen die Ausländerinvasion, wenn er sich aufspielt zum besseren Bürger im rechtsradikalsten Sinne, integriert Risse in die geschundene Seite der Figur. Er läßt solche Passagen zynisch und wie Zitate sprechen statt manisch. Keine Irritation, sondern nur die Steigerung der Verzweiflung. Einmal dreht sich Seyfried vor einer solchen Stelle sogar langsam um sich selbst und macht den Wechsel auch optisch kenntlich. Risse versteht Schneiders Text als Dialog: Der arabische Prügelknabe Sad referiert mitunter rassistische Haltungen.

Gespielt ist das souverän. Die rostrote Wollmütze bis zu den Brauen gezogen, nimmt sich Seyfrieds Sad in seinem unterirdischen Verschlag bei flackerndem Kerzenlicht alle Zeit, die er braucht für seine traurigen Gedanken. Viele Pausen, Mut zum ganz leisen Ton. Volle Kraft dann, wenn er „Deutscher“ spielt und den Werteverfall anprangert. Da überspringt er das große angerostete Rohr, das ihn vom Publikum trennt (Ausstattung: Andreas Auerbach), baut sich groß auf und agitiert die Zuschauer aus nächster Nähe: „Würden Sie wollen, daß Ihr Sohn Sie Möse nennt?“

Dann wieder eine ehrliche Entschuldigung, die Schultern fallen nach unten: Rückfall in die Depression, mit noch gesteigerter Angst. Am Ende der knapp 70minütigen Vorstellung wird eine Art „Tatort“-Musik eingeblendet. Kriminalistischer Marschrhythmus, man hört Ketten aneinanderschlagen. Jetzt wird Sad vollends zum Opfer, Seyfried simuliert eine Schlägerszene, bricht zusammen.

Zwei Haltungen werden hier säuberlich voneinander getrennt vorgeführt. Es sind genau die beiden, deren Antagonismus bedauerlicherweise überall präsent ist. Politisch ist diese Inszenierung natürlich sehr viel korrekter als die von Ulrike Jackwerth. Die Nachwirkung ist dadurch allerdings geringer. Petra Kohse

Nächste Vorstellungen im Studio des Maxim Gorki Theaters am 15. und 23.3., 20 Uhr, Hinter dem Gießhaus, Mitte.

Heribert Sasse wird zwischen 14.4. und 26.5. mit drei Ein-Mann-Produktionen im Hansa-Theater gastieren, eine Wiederaufnahme von „Dreck“ ist bisher leider nicht vorgesehen.