Private Geschäfte mit öffentlichen Folgen

Die „Whitewater“-Affäre des Präsidentenehepaares Clinton in den USA erregt zunehmend die Washingtoner Öffentlichkeit. Aber auffällig daran ist weniger ein greifbarer Skandal als vielmehr eine unbegreifliche Naivität  ■ Aus Washington Andrea Böhm

Unter landschaftlichen Gesichtspunkten sieht die Sache höchst idyllisch aus: 92 Hektar Wald und Wiesen, schön gelegen am Ufer eines Flusses im Norden von Arkansas. Vielleicht aber hätte man sich gleich zu Beginn einen anderen Namen für das Landstück ausdenken sollen. Nomen est omen: „Whitewater“, übersetzt: Wildwasser, bezeichnet ein Gelände, zu dessen Bewältigung wenigstens Grundkenntnisse im Paddeln nötig sind. Daran aber gebricht es derzeit dem Präsidentenpaar im Weißen Haus. Statt in ruhigere Gefilde zu steuern, riskieren Bill und Hillary einen nassen Hosenboden.

„Whitewater“ ist, allem Geschrei zum Trotz, noch kein Skandal, sondern eher Endprodukt einer Kettenreaktion mit allerdings skandaltauglichen Zutaten: eine erfolglose Grundstücksspekulation Ende der siebziger Jahre in Arkansas, eine Bankenpleite, eine Wahlkampfspende, ein Selbstmord, eine mit ethischen Leitlinien unterversorgte und mit politischem Dilettantismus überversorgte Administration – und schließlich Hillary, die mehr und mehr ins Zentrum der Affäre rückt.

Arkansas-Amigos

Es war purer Geschäftssinn, der Bill und Hillary Clinton 1978 zu Anteilseignern der „Whitewater Development Corporation“ werden ließ. Zusammen mit James und Susan McDougal, ihren GeschäftspartnerInnen und politischen FreundInnen aus der Demokratischen Partei, kauften die Clintons besagte 92 Hektar Land, um es zu parzellieren und als Grundstücke für Ferienhäuser weiterzuverkaufen. Aus dem Geschäft wurde nichts, die Käufer blieben aus – und der Verlust der Clintons wurde später mit 69.000 Dollar beziffert. Das Projekt „Whitewater“ hätten Bill und Hillary Clinton denn auch als familiäre Fehlinvestition abhaken können, wäre Freund McDougal nicht in den frühen achtziger Jahren zu einem Finanzspekulanten besonderer Güte geworden: 1982 kaufte er die „Madison Guaranty Savings and Loan Association“, ein Geldinstitut mit Einlagen von drei Millionen Dollar. Die kleine „S&L“-Bank (etwa vergleichbar den deutschen Bausparkassen) wuchs schnell. McDougal entwickelte sich zu einem jener Finanzhasardeure in den USA, denen Reagans Deregulierungspolitik im Bankenwesen schnelles Geld bescherte – und dem Steuerzahler Jahre später ein Milliardenfiasko nach einem gigantischen S&L-Kollaps.

1985 jedoch schien die Welt noch in Ordnung – nicht nur für die McDougals, sondern auch für die Clintons. Das „Whitewater“-Projekt hatte seine Konten bei der „Madison Guaranty“ und wurde dort mit allerlei Sonderrechten bedacht, die mittlerweile das Interesse der Ermittlungsbehörden geweckt haben. McDougal, nach wie vor loyal gegenüber seinem politischen Freund, gerierte sich als Wahlkampffinanzier und überwies dem Gouverneur 35.000 Dollar, damit dieser Schulden aus seiner Wahlkampagne aus dem Jahre 1984 begleichen konnte. Das Geld stammte angeblich aus Spendensammlungen, doch staatliche Ermittlungsbehörden hegen inzwischen den Verdacht, daß McDougal einen Teil des Geldes aus der Bank abgezweigt hat. Auch Hillary Clinton profitierte in diesen Zeiten von McDougals Bankgeschäften: als Teilhaberin des „Whitewater Development Project“ und als Mitglied der renommiertesten Anwaltsfirma in Little Rock. In dieser Eigenschaft repräsentierte sie „Madison Guaranty“ 1985, als staatliche Kontrollbehörden erneut auf riskantes Finanzgebaren McDougals aufmerksam wurden. Wie nachhaltig da kontrolliert wurde, sei dahingestellt: Die zuständige staatliche Ermittlerin war von Gouverneur Clinton berufen worden.

Es ist in einem kleinen Bundesstaat wie Arkansas zweifellos nicht einfach für eine der versiertesten Finanz- und Wirtschaftsanwältinnen, Interessenkonflikte zu vermeiden, wenn der Ehemann als Gouverneur amtiert. Die Frage ist, ob sich Hillary Clinton besonders große Mühe gab, den Filz zu vermeiden, der sich in Little Rock während jahrzehntelanger Dominanz der Demokraten ausgebreitet hatte. „Sie kennen sich alle“, schreibt der US-Journalist Howard Fineman in Newsweek über die Szene in Little Rock, „und die meisten haben zusammen an der Universität von Arkansas studiert. Hier haben viele dank politisch beeinflußter Deals zwischen Staat und Privatwirtschaft ihr Geld gemacht.“

Wer hier politische Karriere machen wollte, mußte sich mit den wenigen großen Privatkonzernen vor Ort arrangieren: die Supermarktkette Wal-Mart, der Joghurtproduzent TCBY und Don Tyson, „Hühnchenmagnat“ und Besitzer einer Geflügelzucht mit Milliardenumsätzen. Daß sich Bill Clinton häufiger nach bayerischer Manier in Tysons Privatjets herumfliegen ließ, wird in der US-Öffentlichkeit dabei mit weit weniger Mißmut registriert als der Umstand, daß Hillary Clinton Tyson mehrfach anwaltlich vertreten hat und ab 1986 in mehreren Aufsichtsratsgremien Platz nahm, unter anderem bei Wal-Mart und TCBY.

All diese Informationen waren lange bekannt und wären vielleicht Geschichte geblieben, hätte nicht am 20. Juli letzten Jahres am Ufer des Potomac in Washington Vince Foster Selbstmord begangen. Foster, der an Depressionen litt, war bis zu seinem Tod stellvertretender Rechtsberater des Präsidenten, Ex-Partner von Hillary Clinton in der Anwaltsfirma in Little Rock – und im Weißen Haus zuständig für die juristische Verwaltung und Schadensbegrenzung im Fall „Whitewater“. Unmittelbar nach Fosters Tod ließ sein direkter Vorgesetzter Bernard Nussbaum, Rechtsberater des Weißen Hauses, Akten zum „Fall Whitewater“ aus Fosters Büro abtransportieren. Diese Akten liegen inzwischen – für die Öffentlichkeit noch versiegelt – bei Gericht, doch Nussbaums Aktion roch nach Vertuschung.

Es kam noch schlimmer. Ende Februar mußte Vizefinanzminister Robert Altman bei einer Senatsanhörung auf Anfrage zugeben, daß leitende Beamte des Ministeriums und er selbst MitarbeiterInnen des Clinton-Stabes, darunter Nussbaum, über die laufenden Ermittlungen gegen die „Madison Guaranty“ informiert und vor der bevorstehenden Einschaltung des Justizministeriums gewarnt hatten. Das ist, gelinde gesagt, eine höchst befremdliche Praxis, denn die Ermittlungen werden unter Leitung des Finanzministeriums durchgeführt. In diesem Augenblick schlugen selbst die wohlwollendsten KommentatorInnen in Washington die Hände über dem Kopf zusammen. Die weniger Wohlwollenden griffen zum verbalen Knüppel: „Die Clinton-Mannschaft hat die Nation in die Heuchelethik der Reagan-Administration zurückversetzt“, kommentierte die New York Times.

Das vorläufige Ergebnis der Affäre: Wie im „Iran-Contra“-Skandal wurde auf Drängen des Parlaments mit Robert Fiske ein special counsel, ein unabhängiger Ermittler, berufen, der inzwischen mehrere hochrangige Mitglieder der Administration mit gerichtlichen Vorladungen bedacht hat; Bernhard Nussbaum, Rechtsberater des Präsidenten, wurde überredet, „freiwillig“ abzutreten.

Ein White-House-Skandal

Wie gesagt: Daß die Clintons im Fall „Whitewater“ gegen Gesetze verstoßen haben, kann niemand behaupten – und es wagt auch keiner. Doch die Clintons, die mit dem Anspruch einer neuen politischen Kultur und Moral das Amt des Präsidenten und der First Lady angetreten hatten, müssen sich nun andere Maßstäbe gefallen lassen. Vor allem das „Jeanne d'Arc“- Image der Hillary Clinton, das sie in den letzten Monaten so unangreifbar gemacht hatte, ist schwer angekratzt. Das gefährdet ihren politischen Stand ebenso wie das Projekt der Gesundheitsreform, das unter ihrer Leitung formuliert und nun durch den immer widerspenstigeren Kongreß geboxt werden soll.

Möglich, vielleicht sogar wahrscheinlich, daß es einen richtigen Skandal um „Whitewater“ nie geben wird. Doch statt dessen gibt es einen selbstangerührten „White House“-Skandal, der im Vergleich zu den Vertuschungsmanövern der republikanischen Administrationen zu Zeiten Watergates oder der „Iran-Contra“-Affäre zwar verblaßt, aber dennoch durch die politische Dummheit derer, die ihn angerichtet haben, beeindruckt. Die Opposition bedankt sich für das verspätete Weihnachtsgeschenk – frustriert angesichts günstiger Wirtschaftsprognosen und Zustimmungsquoten für den Präsidenten brauchten die Republikaner dem Gemisch nur noch das Etikett „Whitewatergate“ aufzudrücken. Ihnen kommt es gerade recht. In diesem Jahr werden in den USA ein Drittel des Senats und das gesamte Repräsentantenhaus neu gewählt.