„Wir sind der frische Wind von links“

Die PDS wählte am Wochenende ihre Spitzenkandidaten für Europa / Wer belastet ist, wird nach Straßburg abgeschoben / Gysi vom Einzug in den Bundestag überzeugt  ■ Aus Berlin Wolfgang Gast

Der Mann hat Biographie, und das zählt bei den 517 Delegierten. Samstag nacht, auf dem Wahlparteitag der PDS, eine Stunde vor Mitternacht: Das Präsidium des Parteitages gibt das Wahlergebnis bekannt. Der parteilose Kandidat Heinrich Fink, einst Rektor der Humboldt-Universität in Berlin, setzt sich überraschend klar gegen sechs weitere Mitbewerber um Platz vier auf der offenen Europaliste der PDS durch. 306 Stimmen, das sind 71,3 Prozent, hat der Mann erhalten, den der Parteivorsitzende Lothar Bisky als einen Menschen vorgestellt hatte, „der um seine Biographie kämpft“.

Der frühere Rektor war nach der Wende wegen des Verdachts einer Stasizuträgerschaft unter dem Decknamen „Heiner“ gefeuert worden. Fink hat diesen Vorwurf stets bestritten. Ein Berliner Arbeitsgericht bestätigte in zweiter Instanz die Kündigung zwar – Fink verspricht den Delegierten dennoch: „Ich werde mich wehren, bis zum Letzten“ – mit einer laufenden Klage vor dem Bundesverfassungsgericht, notfalls auch vor dem Europäischen Gerichtshof.

Biographie ist das ausschlaggebende Argument auch bei der Nominierung der anderen Spitzenkandidaten auf der quotierten Liste. Ohne Gegenkandidaten werden auf Platz eins der Ehrenvorsitzende der PDS und frühere Ministerpräsident der Wendezeiten, Hans Modrow, und auf Platz zwei die stellvertretende Parteivorsitzende Sylvia-Yvonne Kaufmann mit überwältigender Mehrheit gewählt. Platz drei schafft die parteilose Bremer Professorin Susanne Schunter-Klemann – sie hatte ihre Kandidatur für die PDS unter anderem damit begründet, daß aus ihrer Sicht nur diese Partei „wichtige Schlußfolgerungen aus dem deutschen Vereinigungsdebakel gezogen“ habe. Sie konnte sich des Beifalls auf dem Parteitag sicher sein, als sie beklagte, gegen die ungeliebte PDS würden „altbewährte Register, bis hin zum Parteiverbot durchgespielt“.

„Veränderung beginnt mit Opposition“ lautet das Motto des dreitägigen Parteitages, das in großen Buchstaben hinter dem Podium im Haus am Köllnischen Park in Berlin-Mitte angebracht ist. In der Nacht auf Samstag haben Unbekannte den Slogan erweitert und hinter „Opposition“ das Wort „Widerstand“ gesprüht. Ein feiner Unterschied nur, aber ein Hinweis auf den unterschwellig gärenden Zwist um die richtige politische Strategie. Offen zutage tritt der Streit erst, als die „Kommunistische Plattform“ (KPF), eine Strömung in der PDS mit angeblich 5.000 AnhängerInnen, einen Dringlichkeitsantrag stellt. Der Parteitag möge den Pateivorstand rügen, fordern die GenossInnen, weil dieser im Oktober 1993 einen Beschluß gefaßt und geheimgehalten habe, der es Genossen aus der DKP unmöglich mache, mit der PDS zusammenzuarbeiten.

Parteivorständler Michael Schuman hält dagegen. Der Vorstand habe nichts anderes getan, als den früheren Parteitagsbeschluß zur Öffnung der PDS-Listen umzusetzen. Strategie der PDS sei es, bei den Wahlen mit einem breiten Bündnis angesehener Personen aus dem linken Spektrum, wie dem Schriftsteller Heym, anzutreten. Ein direktes oder indirektes Parteienbündnis sei ausgeschlossen worden. Die hier zur Frage stehende mögliche Kandidatur eines DKP-Sprechers auf einer PDS-Liste würde beim Wahlvolk aber zumindest als ein indirektes Bündnis gewertet werden. Das stehe damit „der Idee der politischen Breite entgegen“. Der KPF- Antrag wird anschließend mit großer Mehrheit abgelehnt.

Es herrscht kein Zweifel unter den Delegierten, daß die PDS den Einzug ins Straßburger Europaparlament schaffen und nicht an der Fünfprozenthürde scheitern wird. „Auf daß der Wind sich drehe“, ruft Parteichef Bisky den Delegierten zu, „wir brauchen Rückenwind für eine linke demokratische Alternative!“ Es gelte, einen Wahlkampf zu führen, der „die Bedeutung der Opposition für Demokratie und Lebensqualität herausstreicht“. Das neu erstarkte ostdeutsche Selbstbewußtsein, das seine Rede wie einen roten Faden durchzieht, mündet schließich in dem Satz: „Wir sind der frische Wind von links.“ Nach Lage der Dinge muß die Windrichtung Ost sein. Bisky zum Zustand der Partei in den alten Bundesländern: „Die PDS verfügt im Westen in 80 Städten über eigene Basisorganisationen und über 1.180 Mitglieder. Und das bei einer Gesamtmitgliederzahl der PDS von etwas über 131.000.

Gregor Gysi, der Frontmann der Bundestagsgruppe in Bonn, läßt keine Zweifel daran, daß die PDS nach den Wahlen im Herbst auch wieder im Bundestag vertreten sein wird. Handfeste Politik verspricht er den Delegierten: „Wir sollten uns endlich von dem Irrtum freimachen, Opposition sei zweite Wahl.“ Opposition sei, sagt er, wenn sie ernsthaft praktiziert und nicht als Probelauf für eine Regierungsverantwortung verstanden werde, „eine notwendige und durchaus folgenreiche Form der Einflußnahme“. Die PDS nehme diese Aufgabe an, nicht weil sie „auf absehbare Zeit ohnehin nicht Regierungen stellen dürfte, sondern weil sie Verantwortung für diese Demokratie und für notwendige Veränderungen in diesem Land tragen will“. Der Einzug in den Bundestag wird Gysi zufolge zum Wahlerfolg an sich. In Anlehnung an das Parteitagsmotto fährt er fort, „wenn Veränderung mit Opposition beginnt, und wir haben die Richtigkeit dieses Gedankens ja in der DDR erlebt, so wird eine Veränderung herrschender Politik bereits mit dem Wahlerfolg der PDS denkbar“.