Die grünen Gewinner, die doch verlieren

■ Der Wahlabend in der Landtagsfraktion der niedersächsischen Grünen / Erst Jubel, dann plötzlich doch Ernüchterung / SPD überrundet die Grünen

Hannover (taz) – Der Fraktionsflur der Grünen im niedersächsischen Landtag: Alle kämpfen um den Blick auf die drei Fernsehgeräte, die hinten an der Stirnwand vor dunkelgrüner Wand aufgebaut sind. Die Spitzenkandidatin in wirklich quietschgrüner Bluse strahlt schon seit 18 Uhr, seit die erste Prognose über den Bildschirm gelaufen ist. Sieben lautete der erste Wert für ihre Partei, dann im ersten Trend der ARD 7,5 und später beim ZDF 7,6 Prozent. Juchzen, Jubel begleitet noch jede dieser Meldung, und es scheint niemanden zu interessieren, daß zu diesem Zeitpunkt noch gar nicht sicher ist, ob die knapp über fünf Prozent prognostizierte FDP in den Landtag kommt, ob die in jedem Falle siegreiche SPD nicht doch noch die absolute Mehrheit erreicht.

„Ein Spitzenergebnis“, lobt schon der Noch-Landtagsabgeordnete Hannes Kempmann. „Rot- Grün in der Regierung gewinnt“, meint er, und die Republikaner blieben draußen, wenn man dagegenhält. Um die Zukunft des rot- grünen Bündnisses scheint in diesem Trubel niemand mehr bange zu sein.

„Bundesweites Signal“, so sagt Helmut Lippelt. Die Spitzen der Grünen wenden sich dann über den Bildschirm ans Fußvolk der Fraktion, bemühen vor den Kameras feinere Formulierungen: „Politik bestätigt, ein klares Votum für Rot-Grün“ – so Andrea Hoops. Der SPD-Landesvorsitzende hat zuvor klargestellt, daß seine Partei Koalitionsverhandlungen nur mit den Grünen führen wird. Und für Jürgen Trittin hatte den Anfang der Kanzlerdämmerung in Bonn ausgemacht, eine Ablösung von Kohl über Rot-Grün sei möglich.

Doch dann platzt mitten in das Interview mit der grünen Spitzenkandidatin eine neue Infas-Hochrechnung, nach der „doch noch eine Sensation möglich ist. Die FDP ist abgesackt, zuerst auf 4,9 und wenige Minuten später gar auf 4,6 Prozent. Der Ausdruck „so ein Scheiß“ wird vorherrschend auf dem Landtagsflur der Grünen. Man bangt noch einmal bei der Sitzverteilung, doch dann scheint klar, die SPD allein wird eine Stimme mehr bekommen als CDU und FDP zusammen. „Das ist einfach ungerecht“, klagt Waltraud Schoppe, „wir gewinnen mehr dazu als die SPD, und die kann doch allein regieren.“ „Absoluter Mist“, sagt auch die scheidende Fraktionsvorsitzende Thea Dückert. Nur Helmut Lippelt, der „mehr an die Bundespolitik denkt“, nimmt es etwas gelassener. „Das ist das Wetterleuchten des Umbruchs der politischen Landschaft“, sagt er.

Auch im Landtag spielte sich an diesem Tag alles vor Fernsehschirmen, aber eben auch vor Kameras ab. Von Anfang an stimmten an diesem Abend schon die Hinweistafeln neben der Pförtnerloge auf die Medienereignisse ein. Mit den Dutzenden von Übertragungswagen vor dem Leineschloß, den von Journalisten okkupierten Büros der Fraktionen und der Landtagsverwaltung war das ganze Parlamentsgebäude in ein einziges Medienzentrum verwandelt. Nur der Plenarsaal selbst, um dessen Sessel es ja geht, blieb leer und dunkel. Selbst zwischen den ehrwürdigen Bronzeköpfen der ehemaligen nidersächsischen Ministerpräsidenten war Fernsehgerät an Fernsehgerät postiert.

Die Frage Testwahl oder nicht hatten die Medien schon vorab klar beantwortet. Über tausend Vertreter der sendenden und schreibenden Zunft hatten sich angemeldet. Beinahe doppelt so viele Journalisten wie 1990 tummelten sich diesmal im Parlamentsgebäude, darunter Vertreter von 15 Fernsehstationen. Selbst in Japan oder Südkorea wollte man diesmal aus erster Hand wissen, was die Niedersachsen von den politischen Parteien in der Bundesrepublik halten, wie sie über Gerhard Schröder denken. Über eines waren sie sich sicher, die Niedersachsen an diesem Wahltag, wie es die SPD im Wahlkampf beschworen hatte und wie es in ihrer ziemlich dumpfen Hymne heißt: sie waren „sturmfest“. Jürgen Voges