Wladimir Wolfowitsch frißt Kreide

■ Bei einem Besuch in Warschau zeigt sich der russische Ultranationalist Schirinowski als Polenfreund: Anstelle einer deutsch-russischen Grenze fordert er nun slawische Solidarität

Warschau (taz) – Die Villa des ehemals prokommunistischen polnischen Journalistenverbandes in der Warschauer Innenstadt liegt neben dem Gästepalast des Außenministeriums und direkt gegenüber der Polnisch-Russischen Gesellschaft. Hinter einem hohen Zaun sitzen lässig einige Halbstarke in schwarzer Kleidung und mit Masken, in denen nur Löcher für Mund und Augen gelassen sind. Sie haben Baseballschläger in der Hand und Abzeichen auf der Brust, die sie als „Ordner“ ausweisen. Geordnet haben sie jedoch bisher nichts, rein und raus kann jeder, der will.

Drinnen befinden sich rund 150 Männer, von denen die meisten das Rentenalter bereits erreicht haben dürften. Im Präsidium sitzen der russische Nationalist Wladimir Wolfowitsch Schirinowski und Janusz Bryczkowski, ein dubioser polnischer Geschäftsmann, der Schirinowski eingeladen hat, um seiner winzigen rechtsradikalen Partei bei ihrem Parteitag ein bißchen Publizität zu verschaffen. Die Zahl der Journalisten übersteigt bei weitem die der Delegierten. Letztere stimmen gerade über die Befehlsstruktur einer „Polnischen Legion“ ab, die, vermutlich in Gestalt der schwarzvermummten Baseballfans, ihre paramilitärischen Stoßtruppe werden soll. Gerüchten zufolge hat Bryczkowski sie Boleslaw Tejkowski abgekauft, einem anderen Rechtsradikalen, der zur Zeit wegen Volksverhetzung vor Gericht steht.

Leben in die Veranstaltung kommt erst, als Schirinowski vor die Journalisten tritt, abgeschirmt von unförmigen Leibwächtern in schwarzen Lederjacken, die ihn decken, als habe jeder der Journalisten mindestens eine Schrotflinte in der Hand. Es gibt nur ein Mikrophon, das benutzt Schirinowski, so daß der Übersetzer für die meisten Anwesenden gar nicht zu verstehen ist. Doch es gibt auch nicht viel zu hören, denn Wladimir Wolfowitsch hat Kreide gefressen. Er dementiert, je eine deutsch-russische Grenze gefordert zu haben, er will Kaliningrad nicht mehr den Deutschen geben, er will nicht einmal mehr etwas mit deutschen Rechtsradikalen zu tun haben: „Wir brauchen mehr Solidarität mit unseren slawischen Nachbarn.“ Die panslawistische Seite ist angesagt, Schirinowski wünscht den Polen „eine starke, unabhängige Armee“. Polen solle nicht der Nato beitreten, denn die sei ein Betrüger: „Wir haben den Warschauer Pakt aufgelöst, aber die haben die Nato beibehalten und schieben jetzt deren Grenze immer näher an Rußland heran. Im Baltikum, auf dem Balkan, auf der Krim.“

Atombomben auf Deutschland sind trotzdem nicht vorgesehen, denn an diesem Tag ist Schirinowski „gegen die Anwendung irgendwelcher moderner Waffen überhaupt“. Rußland habe sich immer nur verteidigt, nie jemanden angegriffen. Die polnischen Journalisten sind sichtlich enttäuscht, außer einigen reformfreundlichen Politikern hat Schirinowski an diesem Tag niemanden beleidigt.

Dabei wären die Umstände für drastische Äußerungen durchaus günstig: Bereits am Vorabend hat es am Flughafen ein heftiges Gerangel mit Gegendemonstranten gegeben. Mehrere Rechtsparteien haben die Regierung aufgefordert, den russischen Nationalisten gar nicht einreisen zu lassen. Als er die Villa verläßt, hängen am gegenüberliegenden Zaun einige handgemalte Schilder: „Russen ja, Faschisten nein.“ Sein Gastgeber hat es offenbar nicht geschafft, irgendwelche Politiker zu einem Treffen mit Schirinowski zu bewegen, deren Rang über den Status eines Mitglieds seiner Partei hinausgeht. „Der Selbsterhaltungstrieb der Politiker unseres untergehenden Systems reicht offenbar nicht aus, Kontakte mit dem künftigen russischen Präsidenten zu suchen“, wettert er. Am Abend, nach einer Kranzniederlegung am Warschauer Rote-Armee-Denkmal, ist ein „Empfang für Politiker“ vorgesehen. Schirinowski: „Wenn einer der polnischen Parteiführer oder Minister den Wunsch hat, sich mit uns zu treffen, wir sind dazu bereit.“ Klaus Bachmann