Im Angesicht der Kunstmaschinen

Die Neue Nationalgalerie in Berlin versucht sich an einer Retrospektive der Performance-Künstlerin Rebecca Horn – und muß scheitern  ■ Von Harald Fricke

Die Sonntagsbesucher wandern durch den lichten Museumskubus der Neuen Nationalgalerie und wundern sich nicht: Nicht über die „Pfauenmaschine“ von Rebecca Horn, die ihren stählernen Schwanzfederfächer bewegungslos aufgerichtet hat; nicht über den in stotterndem Rhythmus aussetzenden Motor, der einen Blindenstock gleich im Eingangsbereich nur mit Mühe antreibt; nicht über den stillgestellten offenen Koffer, der sonst hektisch auf- und zuschlagen sollte; und nicht über die außen am Bau installierte Arbeit im Stile von „Paradiso“, bei der statt trüber Milch oder schwarz eingefärbtem Wasser nur ordinärer Nieselregen in das flache Bassin auf der Terrasse tropft. Der dazugehörige gläserne Trichter indes ist einfach bloß verklammert, und die Objekte bleiben regungslos, weil es zur Zeit Probleme mit dem Strom gibt, wie einer der Wächter freimütig erklärt, wenn man danach fragt. Doch die Leute fragen nicht, sie stehen nur zuhauf vor dem an der Decke aufgehängten Klavier zu „Concert for Anarchy“ Schlange und staunen, wenn im Fünf-Minuten-Turnus die Tastatur tösend aus dem Gehäuse quillt. Interesseloses Wohlgefallen an einer Kunst, die sich aushalten läßt: Den Konzertflügel kann sich wer mag als Souvenir-Poster mit nach Hause nehmen – und an diesem Sonntag nachmittag mögen viele.

Während in der aktuellen Diskussion die Idee von orts- und umfeldspezifischer Kunst noch immer als schwer en vogue gilt, reiht sich das Museum gut 75 Jahre nach Duchamps widerstrebigem „Urinoir“ unter den Dienstleistungsbetrieben ein. „Ich bin für eine Kunst, die politisch-erotisch-mystisch ist. Eine Kunst, die etwas anderes macht, als auf ihrem Arsch in einem Museum zu sitzen“, hatte Claes Oldenburg in den sechziger Jahren sich und seine Kunst erklärt. Dort aber sitzt sie heute, und auch auf die politisch-erotisch-mystischen Arbeiten von Rebecca Horn wird mit der großangelegten Retrospektive, die bereits im New Yorker Guggenheim-Museum zu sehen war (siehe taz vom 16. August 1993), zurückgeblickt ohne Zorn.

Als könne man Kunstgeschichte mit ein paar Leitartikeln zurechtbiegen, wird die sperrige Körperlichkeit früher Horn-Arbeiten vorrangig lyrisch als „starke emotionale Qualität“ gehandhabt: Rebecca Horn, Sinnsucherin in Sachen Eros, für die sich seinerzeit jedoch allein der Berliner Galerist und Post-Fluxist René Block interessierte. Er stellte Rebecca Horns „Körperraum“ 1973 zum ersten Mal einzeln aus – für eine knappe Woche, vom 14. bis 20. März 1973. Die Restrepublik wurde mit der Performance-Künstlerin vier Jahre später bei einer Werkschau im Kölnischen Kunstverein bekannt gemacht.

Im Untergeschoß sind mehr kursorisch die Accessoires jener samtenen Siebziger-Jahre-Performances dokumentiert, und oben zu ebener Erde wurden eine Reihe von mechanischen Installationen, vorrangig neue Arbeiten, zusammengetragen. Die wunderbare „Whip Machine“ von 1988 fehlt ganz, ebenso die 36 in einem irren Takt klackernden Schreibmaschinen aus dem Jahr 1991 – statt des „Chor der Heuschrecken I“ stochert jetzt einsam der Blindenstock im leeren. Das „Gesamtenvironment“, von dem im Katalog die Rede ist, kann sich kaum gegen die architektonische Vorgabe Mies van der Rohes behaupten. Die strenge Form des Würfels, seine Glaswände und Marmorsäulen überstrahlen jedes der partialisierten Objekte. Schon im Umgang mit dem Wright-Bau des New Yorker Guggenheim-Museums erwies sich die Inszenierung weniger als dramatisch denn selbstverloren. Die einzelnen Installationen bedürfen zur Auseinandersetzung im Grunde einzelner Kabinette, in denen der Besucher von der Plötzlichkeit der mechanischen Objekte überrascht, miteinbezogen werden kann. Doch in Massen ohne trennende Wände ineinander verwoben, fransen die Installationen an den Rändern aus, pendelt die metallene Nadel über dem esoterisch anmutenden Emu-Ei wie ein unbeholfener Statist im Hintergrund von „Inferno“, einer Installation mit Krankenhausbetten, die im Vergleich zur New Yorker Präsentation auf die Hälfte der Betten eingeschrumpft wurde. Selbst die komplett über den Raum ausgebreiteten Bleirohre der Installation „El rio de la luna“ wirken nicht wie ein großzügiges, doch präzises Zusammenspiel aus gebündelten und aufbrechenden Energieströmen, sondern ufern eher allzu sehr ins lose aus, wie eine sich selbst überlassene Orgon- Masse, an deren Potenz auch die Ausstellungsmacher nicht mehr zu glauben wagen. Zur ungefährlicheren Begehung der Rohre, Trichter und Quecksilberbehälter führt eine kleine, grau getünchte Sperrholzrampe über den Objekt-Fluß: Dann sind die obsessiven „Maschinenträume“ Rebecca Horns an der Schwelle zum Miniaturpark angekommen; und über dem Film „La Ferdinanda: Sonate für eine Medici-Villa“ liegt ständig ein leichtes Kichern in der Luft, als könnte die Geschichte von den Koksern und Krankenschwestern jeden Moment in surreale RTL-Erotik umkippen.

Dabei hatte Rebecca Horn zu Beginn der siebziger Jahre sehr genau am Körper geforscht. Ihre Gehversuche bei der Performance „Einhorn“, zu der sie 1971 nackt bis auf eine dünne Stoffbandagierung ein Weizenfeld durchschritt, waren Ausdruck einer Entpanzerung des weiblichen Körpers, den bislang allein männliche Wünsche, Phantasien und Projektionen beschrieben hatten. Die bloßstellende Selbsterfahrung in der Kontrolle über den eigenen Körper schien Rebecca Horn in eine fast manichäische Welt zu führen, die sie von innen nach außen beschrieben hat: „Ihr Bewußtsein wie elektrisiert, aufs äußerste gespannt; nichts kann sie bei ihrer Trance- Wanderung davon zurückhalten, sich mit jedem Baum und jeder Wolke zu messen. Der Weizen berührt sanft ihre Hüften, aber nicht ihre freien Schultern“, schreibt Horn 26jährig über die Einübung in den Körper, „wie ein Echo- Schock meiner Imagination“.

Bald zehn Jahre bleibt sie dieser Beziehung zum Körper treu, schafft immer neue Masken und Utensilien, in denen sie sich in ein Verhältnis zu offenen Raumsituationen (viele Performances fanden im Freien statt) versetzen kann, etwa mit „Körperfächern“, den „Fingerhandschuhen“ oder der „Bleistiftmaske“. Es ist, als hätte sich die Konstellation Objekt – Frau (bei Horn vor allem auf die der Künstlerin und Muse, von Man Ray nackt an die Druckerpresse gestellt und bei Max Ernst an die Couch gefesselt, übertragen) aus den Zwängen der „Junggesellenmaschine“ gelöst. „Die sanfte Gefangene“ (1978) spielt in jungfräulicher Ironie mit einem Kokon aus weißen Pfauenfedern, der sie zugleich verstecken und enthüllen kann – wie ein Fächer im Prinzip, nach dessen Mechanik ein Großteil der Arbeiten Rebecca Horns heute noch angefertigt ist.

Doch dieses Verhältnis wird abrupt mit ihrer „Pfauenmaschine“ von 1982 aufgekündigt. An die Stelle des eigenen Körpers treten auf Symbole mechanischer Körperlichkeit reduzierte Stahlkonstruktionen: Maschinen, denen, wie Nancy Spector im Katalogtext zu belegen versucht, „die Vorstellung von der Gleichwertigkeit der Geschlechter, das Verwischen gesellschaftlich vorgeschriebener sexueller Grenzen“ innewohnt. In erster Linie aber erzählen diese Maschinen eine Geschichte, deren Subjekt von nun an abwesend bleibt. Die rote Farbe, die von Pinseln an die Wand geschleudert über rote Step-Schuhe rinnt, suggeriert in der (zur Retrospektive leider unberücksichtigt gebliebenen) Installation „Lola“ eben nicht mehr den Schock der plötzlichen Verletzung oder überhaupt Verletzbarkeit, sondern die Wiederkehr der Repräsentation zur Rettung des Allgemeinen. Die Kritik an der Gesetzmäßigkeit des „Die- Männer-sind-alle-Signifikanten“ (und ihr Herz ist ein finsteres Loch!) endet in einer quasi-akademischen Auseinandersetzung mit Form. Anstelle einer sich ständig mit neuen Selbst-Abbildungen konfrontierenden Rebecca Horn erscheint jetzt einzig die technische Apparatur, die zwischen einer „Malmaschine“ und einer „Brautmaschine“ kaum mehr Unterschiede macht. Selbst unter allergrößter Aufbietung poetischer Zeichen wie den sich zum Kuß vereinigenden Nashornhörnern aus Stahl, zwischen denen es sehr real Funken schlägt, bleibt die Bewegerin im Hintergrund: unbewegt.

Rebecca Horn, bis 1.Mai in der Neuen Nationalgalerie Berlin; ab 27. Mai in der Kunsthalle Wien. Der Ausstellungskatalog kostet 68 DM.