: Die unsinnlichste Messe der Welt
Auf der Cebit machen sich die Computerhersteller nach dem schlechtesten Jahr aller Zeiten gegenseitig Mut: Der Aufschwung kommt bestimmt ■ Von Donata Riedel
Berlin (taz) – Die weltgrößte Computermesse ist ein Paradox. „Der Wachstumsmarkt Software bekommt eine größere Ausstellungsfläche“, kündigt für dieses Jahr die Messeleitung der Cebit an. Ein wesentliches Merkmal von Software jedoch ist, daß man sie nicht sehen kann. So zeigen die Hersteller an ihren Ständen Hardware, auf denen ihre Programme ablaufen – und verteilen massenweise papierene Prospekte.
Die unsinnlichste Messe der Welt sei darüber hinaus unsinnig, stänkerte sogar manch ein Großer der Branche im vergangenen Jahr: Zuviel Laufkundschaft, zuwenig Fachpublikum verstopfe die Hallen. Dennoch werden sich ab morgen in Hannover mit 5.727 Ausstellern fast genauso viele Firmen beteiligen wie 1993. Und wieder rechnen die Veranstalter damit, daß sich während der Cebit die Einwohnerzahl Hannovers durch 600.000 Besucher verdoppeln wird.
Man trifft sich, wie schon im letzten Jahr, um sich gegenseitig Mut zu machen: Für 1994 gebe es „erste Anzeichen für eine Belebung der Konjunktur“, verkünden die bundesdeutschen Branchenverbände voller Frühlingshoffnungen. Nachdem die Informationstechnologen 1992 erstmals in die tiefroten Zahlen gerutscht waren, eilte vergangenes Jahr sogar der Bundeskanzler nach Hannover. Doch seine Rede von Perspektiven und Visionen änderte auch nichts an der Tatsache, daß 1993 das schlechteste Geschäftsjahr der europäischen Branchengeschichte wurde. In nur zwei Jahren verlor die Computerindustrie ihre strahlende Rolle als Lieferantin von immer mehr neuen krisensicheren Arbeitsplätzen, die den Beschäftigten noch dazu hervorragende Löhne bescherte.
Mit 8,1 Milliarden Dollar bei 62,7 Milliarden Dollar Umsatz machte IBM 1993 den größten Verlust seit der Firmengründung, nach fünf Milliarden Dollar minus in 1992. Weltweit will der Riese in diesem Jahr 40.000 Stellen abbauen, noch mal so viele wie 1993. In Deutschland betrug die Arbeitsplatz-Abbauquote bei den Computerherstellern zehn bis 15 Prozent. Bei Siemens-Nixdorf beispielsweise wurden 5.000 der 48.000 Stellen gestrichen, weitere 5.000 sollen es im laufenden Geschäftsjahr werden. In den ersten fünf Monaten 1993 mußte in Deutschland die büro- und informationstechnische Industrie Umsatzrückgänge von 19 Prozent hinnehmen.
Schuld an der Krise trägt, ähnlich wie zuvor in der Fernseh- und Hifi-Industrie, vor allem die Sättigung des Marktes, die Anfang der 90er Jahre erreicht war, ohne daß sich die Industrie rechtzeitig darauf eingestellt hätte: Wer einen Computer brauchen kann, hat inzwischen meistens einen.
Gleichzeitig schuf die American Telephone & Telegraph Company (AT&T), die sich längst zum Computermulti entwickelt hat, die Welt der offenen Standards der Unix- Betriebssysteme. Plötzlich waren die Kunden nicht länger davon abhängig, welche neuen Gerätschaften ihnen ihr bisheriger Lieferant zur Ergänzung der vorhandenen Computer anbieten würde. Mühsam mußte die Computerbranche eine marktwirtschaftliche Grundregel lernen – nach den Wünschen der Kunden zu fragen. Und die Kundschaft, ebenfalls rezessionsgeplagt, fragte sich zuallererst selbst, ob sie denn neue Technik gerade jetzt benötigen würde.
Auf dem enger gewordenen Markt haben sich vor allem die Hardware-Hersteller in einen ruinösen Preiskampf begeben. Die Preise für Personal Computer (PC) rutschten zu Beginn des letzten Jahres um ein Viertel ab und befinden sich noch immer im freien Fall. Besonders kleinere Anbieter gerieten ins Hintertreffen. In Deutschland konnten die sechs Größten PC-Anbieter ihren Marktanteil am Umsatz (1993: 8,454 Mrd. DM) von 39 Prozent 1992 auf fast 50 Prozent ausweiten.
Gleichzeitig setzten die Hersteller auf Innovation. Der Drang, schneller als die Konkurrenz eine Neuheit anzubieten, produzierte jedoch etliche Fehlstarts. Der Chip-Marktführer Intel etwa stellte auf der letztjährigen Cebit mit großem Getöse seinen neuen Superchip Pentium vor: Fünfmal so leistungsstark wie der Vorläufer 486 sei Pentium, außerdem voll kompatibel mit jeglicher Software.
In der Realität jedoch verließen nur wenige Chips die Produktion fehlerfrei. Diese gerieten beim Arbeiten so ins Schwitzen, daß die Computerhersteller aufwendige Kühlsysteme bauen mußten, damit ihr neuartiges Gerät nicht hinwegschmolz. Die wenigen Pentium- Computer, die bislang zum Einsatz kamen, waren dann lange nicht so flott im Rechnen, wie die Hersteller versprochen hatten. Denn um die Vorzüge des neuen Chips voll nutzen zu können, bräuchte es eben doch spezielle Software – die es noch nicht gibt.
Weil das Geschäft mit der Hardware so schwierig geworden ist, setzten 1993 immer mehr Hersteller auf den Wachstumsmarkt Software. Dort entdeckten sie den Trend, daß die Kunden bereit sind, mehr Geld für Programme und Service auszugeben als für neue Computer. Trotzdem ging die Rechnung nicht auf: Die Umsätze in den neu erschlossenen Geschäftsfeldern wachsen lange nicht so stark, wie die Einnahmen aus dem Rechnerverkauf gesunken sind. Und seit sich auch die Hardware-Hersteller auf dem Software- Markt drängeln, ist dort ebenfalls der Preiskampf entbrannt.
In dieser Situation begrüßt die Branche jede noch so kleine gute Nachricht als Zeichen für einen neuen Aufschwung. Immerhin hat ja IBM im letzten Quartal 1993 wieder leichte Gewinne gemacht. Bei Siemens-Nixdorf freut sich die Chefetage, daß im letzten Geschäftsjahr der Verlust mit 419 Millionen Mark (bei 11,9 Mrd. DM Umsatz) um 100 Millionen niedriger war als im Jahr davor. Überall wurde die Produktivität gesteigert; so verläßt ein PC bei Siemens-Nixdorf nach einer halben Stunde die Fertigungshalle – früher war eine ganze notwendig. Den Kanzler übrigens fliegt die Messeleitung diesmal nicht zum Gesundbeten ein. Statt dessen hält, seit Wochen geplant, ein Sieger heute die Eröffnungsrede: Gerhard Schröder.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen