Wenn die Hand beim Schwören zittert

■ Sachsen-Anhalts parlamentarischer Untersuchungsausschuß zur Spitzelaffäre schließt die Beweisaufnahme ab / Zeugen beeideten widersprüchliche Aussagen

Magdeburg (taz) – Die ersten Jahre des Landes Sachsen-Anhalt waren ein Räuber-und-Gendarm- Spiel, in dem jeder jeden bespitzelte, teils auf eigene Faust, teils im offiziellen Auftrag. Wer aber nun Auftraggeber war, wer Spitzel anstiftete oder sie nur gewähren ließ, das wird auch der zweite parlamentarische Untersuchungsausschuß im Magdeburger Landtag nicht herausfinden, der Licht gleich in zwei Affären bringen soll.

Zum einen sollen die Parlamentarier herausfinden, ob der mittlerweile über die Gehälteraffäre gestürzte Ex-Ministerpräsident Werner Münch seinen Stellvertreter, Umweltminister Wolfgang Rauls, 1991 durch den Verfassungsschutz ausforschen ließ. Zum anderen sollen sie klären, unter welchen Umständen der private Sicherheitsunternehmer Klaus-Dieter Matschke 1990 zunächst zum hochkarätigen Polizeiberater und später zum Kriminaloberrat und ersten Beamten Sachsen-Anhalts avancieren konnte, und vor allem, welche Aktivitäten er in Amt und Beamtenwürden entfaltete.

Matschke sollte nach eigener Aussage den Verfassungsschutz in Sachsen-Anhalt aufbauen, zunächst allerdings einigen CDU- Abgeordneten eine Stasi-Vergangenheit nachweisen. Denn weder der erste Ministerpräsident Sachsen-Anhalts, Gerd Gies, noch sein designierter Innenminister Wolfgang Braun hatten zur Landtagswahl für ein Direktmandat kandidiert, sondern die vorderen Plätze auf der Landesliste besetzt. Weil die CDU aber unerwartet viele Direktmandate holte, kamen die Listenbewerber überhaupt nicht zum Zuge. Ein Regierungschef und ein Innenminister ohne Mandat, das war für Gies und Braun mehr als ein kosmetischer Makel, und so setzten sie den Ermittler auf die Abgeordneten der eigenen Partei an. Der wurde tatsächlich fündig. Nachdem drei CDU-Parlamentarier wegen ihrer Stasi-Verbindungen auf das Mandat verzichteten, konnten sie über die Liste in den Landtag nachrücken.

Aber von engen Kontakten oder sogar von entsprechenden Aufträgen an Matschke wollen beide heute nichts mehr wissen und nahmen diesen Gedächtnisschwund auf ihren Eid. Denn Matschke, der nach einer Medienkampagne Anfang 1991 fallengelassen wurde, klagt gegen das Land auf Nachzahlung seiner Beamtenbezüge sowie auf eine ordnungsgemäße Versetzung in den einstweiligen Ruhestand.

Nicht weniger konspirativ arbeitete der Vertreter des Bundesverfassungsschutzes in Magdeburg, Jürgen Schaper, als er in der Vergangenheit von Umweltminister Wolfgang Rauls herumspitzelte. Zwar konnte der Ausschuß nicht belegen, ob Schaper einen Auftrag vom damaligen Regierungschef Münch oder nachgeordneten Regierungsstellen hatte, fest steht aber, daß man in Regierungskreisen von Schapers Schlapphutaktivitäten wußte und ihn gewähren ließ.

„Hier wurde Politik im Schlepptau der Geheimdienste gemacht“, zieht Hans-Jochen Tschiche (Bündnis 90/Die Grünen) zum Abschluß der Beweisaufnahme eine erste Bilanz. Und der Vorsitzende des Untersuchungsausschusses, Manfred Püchel (SPD), klingt fast ein wenig resigniert, wenn er einräumt, daß der Ausschuß zwar vieles, letzte Wahrheiten aber dennoch nicht ans Licht bringen konnte.

„Das wird Sache der Staatsanwaltschaft und ordentlicher Gerichte sein“, sagt Püchel, der die gesamten Unterlagen an die Staatsanwälte übergeben will. Acht Zeugen vereidigte der Ausschuß, und alle acht hoben die Schwurhand und beteuerten, daß sie ihre Aussagen guten Gewissens beeiden könnten. Da sich diese Aussagen aber in zentralen Punkten widersprechen, muß ein Teil dieser Zeugen einen Meineid geschworen haben.

Vollends zum Katz-und-Maus- Spiel verkam die Ausschußarbeit, als kurz vor Abschluß der Beweisaufnahme eine eidesstattliche Versicherung des früheren Abteilungsleiters im Innenministerium, Ulrich Levy, auftauchte, in der er zwar genau das Gegenteil seiner früheren Aussage behauptete, letztlich aber die Aussagen zahlreicher weiterer Zeugen bestätigte. In einer erneuten Vernehmung zog Levy diese eidesstattliche Versicherung aber wieder zurück, sie sei unter Druck zustande gekommen. Levy, der das politische Detektivspiel in Sachsen-Anhalt stets mit Begeisterung mitspielte, wird inzwischen kaum noch von einem Ausschußmitglied ernstgenommen. „Um mit ihm klarzukommen, bräuchte man wahrscheinlich eine spezielle berufliche Ausbildung“, findet Tschiche. Eberhard Löblich