Strafversetzung für „Einblick“-Opfer

Gegen seinen Willen wurde ein Lehrer versetzt, dem Neonazis per Listenaufruf „unruhige Nächte bescheren“ wollten / Zur Begründung hieß es, die SchülerInnen seien gefährdet  ■ Von Bernd Siegler

Nürnberg (taz) – Anfang Dezember stand der Name des hessischen Gesamtschullehrers Manfred B. ganz oben auf der neonazistischen „Abschußliste“ in der rechten Postille Der Einblick. Schon drei Wochen später reagierte die zuständige Schulbehörde: Sie versetzte den Lehrer gegen seinen ausdrücklichen Willen an eine weit entfernte Schule.

Mechthild von Lutzau, Vorsitzende des SPD-Arbeitskreises für Bildung (AfB) von Hessen-Nord, versteht die Welt nicht mehr: „Gerade von uns Sozialdemokraten muß ich aufgrund unserer Geschichte erwarten können, daß wir Standvermögen, Sensibilität und den notwendigen Durchblick haben, Neonazis die Stirn zu bieten.“ Besonders enttäuscht ist sie von Hessens Kultusminister Hartmut Holzapfel, der sich in die Entscheidung der Schulbehörde nicht einmischen will.

Die Zeitschrift Der Einblick wurde Anfang Dezember über eine dänische Postfachadresse verschickt. Sie enthielt etwa 250 Namen und Adressen von sogenannten „Inländerfeinden“, denen man „unruhige Nächte bescheren“ wollte.

Oben auf der Liste stand Manfred B., der eine antifaschistische Lehrerzeitschrift herausgibt. Bei keinem anderen hatten die Anti- Antifa-Aktivisten sich so viel Mühe gegeben, wie bei B.: Name, Adresse, Beschreibung des Grundstückes und sogar Aussehen seiner Frau wurden akribisch aufgelistet – und auch die Adresse der Schule, an der er unterrichtet.

Die Liste erregte in der Öffentlichkeit großes Aufsehen. Mit dem Rüsselsheimer Norman Kempken, einem Aktivisten der militanten „Taunusfront“, dem oberfänkischen Druckereibesitzer Eberhard Hefendehl und drei Aktivisten der verbotenen „Deutschen Alternative“ hat die Bundesanwaltschaft inzwischen die mutmaßlichen Drahtzieher des Einblicks ermittelt. Innerhalb der Szene werden die Einblick-Macher mittlerweile kritisiert. Die „wahllose Veröffentlichung von allen identifizierten Antifa halten wir für falsch“, schrieb der Index, die Postille der Hamburger „Nationalen Liste“ um Christian Worch. Damit „könnte eine Eskalation in Gang gesetzt werden, die wir nicht wollen“.

Manfred B. nutzt diese Erkenntnis wenig. Mit Schreiben vom 27. Dezember ordnet ihn der leitende Schulamtsdirektor Wolfgang Bruckmann vom Schulamt Kassel-Land an eine weit entfernte und schlecht erreichbare Schule ab. Durch eine Fortsetzung von B.s Tätigkeit, argumentierte Bruckmann, könnten sich Gefährdungen für B., „die Schule und die sich dort aufhaltenden Personen, insbesondere die Schülerinnen und Schüler, ergeben“.

In seinem Widerspruch gegen die Versetzung führte B. unter anderem seine schwerbehinderte Frau an, für die er sorgen müsse. Für ihn kam die Abordnung mitten im laufenden Schuljahr „schwerwiegenden Strafmaßnahmen“ gleich. Sie sei nicht nur mit einer Verschlechterung seiner Lebensführung, sondern auch seiner Sicherheitslage verbunden. „Bei Fahrten in unbekannte Gegenden, Unterricht an Schulen, wo ich schulfremde Jugendliche nicht von Schülern unterscheiden kann, bin ich weitaus mehr gefährdet“, betont der Lehrer. Sein Widerspruch nützte nichts. Im Gegenteil. Das Schulamt dehnte nun die zunächst bis Ostern befristete Abordnung bis zum Beginn der Sommerferien aus.

Jetzt wurde der Bezirksvorstand des AfB-Hessen-Nord aktiv. In einer Resolution forderte man Kultusminister Holzapfel ultimativ auf, „die Abordnung sofort rückgängig zu machen“. „Schutzmaßnahmen für Lehrer, die von Neonazis verfolgt werden“, sollten „nicht ohne Einverständnis der Betroffenen erfolgen“. Im Beisein des Kultusministers votierte der AfB-Landesvorstand entsprechend.

Holzapfel ließ über seine Staatssekretärin Schmerbach erklären, daß er nicht in die Entscheidungen des Kasseler Schulamtes einzugreifen gedenke. Sigrid Fey, persönliche Referentin von Schmerbach, verwies gegenüber der taz auf das neue hessische Schulgesetz. Darin habe man „bewußt viel Verantwortung nach unten verlagert“. Es wäre „ungewöhnlich“, würde jetzt das Kultusministerium eingreifen.

Der AfB-Vorstand Hessen- Nord hält die politischen Signale, die von einer solchen staatlichen Entscheidung ausgehen, für „katastrophal“. Die Neonazis könnten eine solche Entscheidung „als Sieg verbuchen“. „Welche/R Lehrer/In hat angesichts solcher Disziplinarmaßnahmen noch Mut, sich mit den Neonazis auseinanderzusetzen“, fragt sich der AfB-Vorstand.