„Es geht nicht um Personalentscheidungen“

■ Interview mit dem stellvertretenden Vorsitzenden der CDU-Bundestagsfraktion, Heiner Geißler, über die Konsequenzen der Niedersachsen-Wahl für die Regierung in Bonn

taz: Herr Geißler, Ihr niedersächsischer Spitzenkandidat stand für einen Generationswechsel innerhalb der Partei. Hat mit Christian Wulff auch der Flügel der CDU eine Niederlage erlitten, der nicht auf nationalkonservative Werte setzt, der die europäische Einigung ohne Abstriche bejaht, der Frauen mehr Chancen einräumen will und in der Wirtschaftspolitik nicht nur an die Unternehmer denkt?

Heiner Geißler: Nein.

Aber von Vertretern des Reformflügels in der CDU war vor der Wahl zu hören, eine Niederlage werde ihrem Einfluß angehängt. Werden nun jene Parteifreunde Druck machen, die in der Vernachlässigung konservativer Wählergruppen die Ursache sehen für die Verluste?

Das habe ich von niemandem gehört. Wer soll das denn gesagt haben?

Sie sehen das nicht?

Nein.

Nach Umfragen gaben 60 Prozent der niedersächsischen Wähler der Bundesregierung schlechte Noten. Wie will die CDU erklären, daß dieses Wahlergebnis keine Niederlage für die Regierung Kohl darstellt?

Es war ein Ergebnis, das sowohl die Bundesregierung als auch die Bundespartei und die Landespartei trifft. Aber auf der anderen Seite hat die SPD gerade 16.000 Stimmen dazugewonnen. Die absolute Mehrheit verdankt sie nun einmal der Wahlarithmetik nach dem Ausscheiden der FDP, nicht dem Willen der Wählerinnen und Wähler. Ich sehe in dem Ergebnis vor allem eine Widerlegung der Behauptung, daß die Volksparteien am Ende seien.

Natürlich gefällt es mir nicht, daß die falsche Volkspartei gewonnen hat. Aber Christian Wulff hat hat nach vier Jahren Opposition eine gute Chance, es beim nächsten Mal zu packen. Die Sozialdemokraten waren gerade vier Jahre an der Regierung. Das war für viele Wählerinnen und Wähler offensichtlich noch nicht lange genug.

Die Bundes-CDU muß Konsequenzen ziehen, wenn sie bei den kommenden Wahlen erfolgreich sein will. Der Parteivorsitzende der CDU hat viel zur Erstarrung der Partei beigetragen. Was muß noch passieren, daß ihm der Rücktritt nahegelegt wird?

Sie vermischen eine Frage mit einer Behauptung, die mit der Frage nach den Konsequenzen nichts zu tun hat. Sie haben gefragt, was getan werden muß. Darauf will ich Ihnen eine Antwort geben: Wir müssen erkennen, daß die Europawahl und die Bundestagswahl jeweils Richtungsentscheidungen sind, keine Personalentscheidung. Die CDU muß Orientierung geben in einer Zeit der Verunsicherung, und zwar auf den Feldern Wirtschaftspolitik, Innenpolitik, Außenpolitik und Sozialpolitik. Die Wählerinnen und Wähler werden zu entscheiden haben, wem sie das eher zutrauen. In Niedersachsen stand die Arbeitsmarktpolitik im Vordergrund. Wir müssen klarmachen, daß bei uns die bessere Kompetenz liegt. Das kann man nur erreichen durch Argumente. Die muß man den Wählern vermitteln.

Selbst wenn Sie die Kompetenz in der Wirtschaftspolitik gewinnen: Dieses Ressort leitet in der CDU-geführten Bundesregierung ein Liberaler.

Ich bin dafür, daß die CDU nach einem Wahlsieg in Bonn wieder den Wirtschaftsminister stellt.

Sie haben auf dem Hamburger Parteitag gefordert, gerade in der Defensive müsse die CDU streitbar werden – nach innen und nach außen. Wird die CDU nach dem Niedersachsen-Ergebnis lebendiger?

Wir sind mitten in einem Diskussionsprozeß über wichtige Fragen, die wir auch im Parlament behandeln. Die CDU hat unter meiner Beteiligung ein Beschäftigungsprogramm vorgelegt mit dem Ziel, auch im Westen Deutschlands Arbeitslosengeld in Lohnkostenzuschuß umzuwandeln, der dann gezahlt wird, wenn Arbeitslose einen Job annehmen, der sonst liegenbleiben würde. Mit dieser Maßnahme konnten wir im Osten 70.000 Arbeitsplätze schaffen.

Mit der FDP diskutieren wir gerade darüber, einen erweiterten Teilzeitarbeitsmarkt zu schaffen. Beide Vorhaben sollen bis Ende April realisiert werden. Sie bedeuten einen konkreten Beitrag zur Überbrückung der Lage auf dem Arbeitsmarkt, die momentan nicht gut ist, bis zu dem Zeitpunkt, da die Strukturkrise überwunden ist.

Wie wollen Sie die Jugend wiedergewinnen, die der CDU in Scharen davongelaufen ist?

Durch verstärkte Glaubwürdigkeit. Diejenigen, die ein politisches Amt haben, müssen an ihr Verhalten auch höhere Maßstäbe anlegen lassen. Wir dürfen im Wahlkampf nicht mehr versprechen, als wir halten können. Wir müssen klar sagen, daß wir bestimmte Dinge nicht für richtig halten – etwa finanzpolitische Eskapaden von Saarbrücken bis Magdeburg, von München bis Hamburg. Allerdings darf man nicht die vielen tausend Abgeordneten in den Parlamenten, die gute Arbeit leisten, an diesen wenigen Fällen messen. Interview: Hans Monath