Die WählerInnen sind besser als ihr Ruf

Der Wahlausgang in Niedersachsen zum Auftakt des „Superwahljahres“ zeigt, daß der bisherige Trend gegen die Volksparteien hin zu den kleinen Protestparteien und ins Nichtwählerlager nicht zwangsläufig ist. Doch die erfolgreiche Abwehr der „Republikaner“ kann über die Schlappe der CDU nicht hinwegtäuschen.

Sie sind Aktivisten, die Menschen, die gestern zwischen Ems und Elbe gewählt haben. Sie schwimmen sozusagen stromaufwärts – Trendverweigerer nennen die Wahlforscher diejenigen, die mit dem neumodischen „Nichtwählen“ nichts am Hut haben. Als „Bremser“ haben sie sich betätigt, denn sie haben den Zulauf zu den sogenannten Protestparteien abgefedert. Das Bonner Institut für angewandte Sozialwissenschaften (infas) attestiert der Wählerin, dem Wähler nur Bestes.

Die offizielle infas-Einschätzung: „Die Wähler in Niedersachsen haben nach vierjähriger Amtszeit das rot-grüne Regierungsmodell bestätigt, dabei das grüne Element sogar gestärkt, es zugleich aber für die Regierungsbildung entbehrlich gemacht.“

Mit diesem Ergebnis haben sich, so infas, die Wähler zwischen Ems und Elbe dem verbreiteten politischen Trend der letzten Zeit entgegengestellt; scheinbar seien vertraute Wahlmuster früherer Zeiten wieder aufgelebt.

Landesweit waren gegenläufige Entwicklungen für den Wahlsieger SPD zu beobachten. Die Sozialdemokraten verzeichneten deutlichere Gewinne vor allem in den westlichen Landesteilen, etwa im Emsland, aber auch im östlichen Landesteil, im Einzugsgebiet des VW-Werkes um Wolfsburg. „In beiden Fällen ist zu vermuten“, schreibt infas, „daß der Einsatz von Ministerpräsident Gerhard Schröder zur Rettung industrieller Arbeitsplätze hier mit besonderen Zuwachsraten um drei bis vier Prozentpunkte honoriert wurde.“

In den größeren Städten mußte die SPD einige Federn lassen: z.B. in Hannover (minus 2,9) oder in Universitätsstädten wie Oldenburg (minus 2,3) und Göttingen (minus 5,8): Hier haben die Grünen zwischen 2,8 und 6,9 Prozentpunkte zugelegt. Infas: „Die ökologische Industriepolitik der rot-grünen Landesregierung hat offenbar einerseits die Arbeitsbevölkerung bei der Stange gehalten, es andererseits aber den Grünen ermöglicht, auf Kosten der SPD ihre klassischen Schwerpunkte weiter auszubauen.“

Die rot-grüne Arbeitsteilung ließ aber auch die Grünen nicht ganz ungeschoren. Im Emsland, wo verschiedene ökologisch umstrittene Großprojekte für Konflikte sorgten, wandten sich enttäuschte Umweltschützer von den Grünen ab. Der in seiner Größenordnung bedeutende Wähleraustausch zwischen den beiden bisherigen Regierungspartnern saldiert sich auf einen Verlust von 30.000 SPD-Stimmen an die Grünen. Diese und andere Wählerverluste konnte die SPD jedoch durch Gewinne von der CDU in einem Volumen von gut 75.000 Stimmen kompensieren.

Die CDU wurde nicht allein durch Stimmenabwanderung zur SPD gebeutelt. Hinzu kam ein erhebliches Mobilisierungsdefizit: Fast 80.000 frühere CDU-Wähler blieben der Urne fern. Auch die notorische Schwäche, Jungwähler anzusprechen, führte zu einem Verlust. Der Generationswechsel machte über 70.000 Stimmen aus. Diese Negativbilanz rundet sich ab durch die Abwanderung von 30.000 früheren CDU-Wählern zu den „Republikanern“.

Besonders deutliche Verluste mußte die CDU im Einzugsbereich von Hamburg hinnehmen. Dort zog die Statt Partei ihr die Stimmen ab. „Nur 34 Prozent der Wähler in Niedersachsen hatten den Eindruck, die CDU stehe geschlossen hinter ihrem Spitzenkandidaten; nur 63 Prozent der CDU- Anhänger mochten sich mit Christian Wulff identifizieren“, so infas. Diese Vorbehalte wogen um so mehr, als er gegen einen starken Amtsinhaber antrat, dessen Politik als pragmatisch (58 Prozent) und der schwierigen wirtschaftlichen Situation des Landes angemessen (70 Prozent) eingeschätzt wurde. Die CDU wies in zentralen Problemfeldern, wie Arbeit, Soziales und Wirtschaft, ein schwaches Kompetenzfeld auf. Ein weiteres Handicap war der starke Gegenwind aus Bonn: Nur 23 Prozent der Niedersachsen waren mit der Arbeit der Bundesregierung zufrieden, während 60 Prozent ihr schlechte Noten erteilten.

Dem Formtief der Bonner Koalition konnte sich auch die niedersächsische FDP nicht entziehen. Anders als noch 1990 wurde ihr nach vier Jahren Opposition auf keinem Politikfeld mehr nennenswerte Kompetenz zugeschrieben.

„So erfolgreich die großen Parteien auch in der Abwehr der Republikaner waren“, analysiert infas, „so darf doch nicht übersehen werden, daß diese – gemessen an Vorwahlbefragungen – nur gut ein Drittel ihres Wählerpotentials ausschöpften.“ Immerhin kamen die „Republikaner“ in 13 der 100 Wahlkreise, mit Schwerpunkt in Hannover und Umgebung, auf über fünf Prozent. Dabei trat das bereits vertraute Wählerpotential der neuen Rechten in abgeschwächter Form zutage: Junge und ältere Männer, Arbeiter und Arbeitslose, großstädtische Unterschichten waren für die Rechtsradikalen aufgeschlossen.

Der Wahlausgang am 13. März in Niedersachsen zum Auftakt des Wahljahres 1994 signalisierte, daß der bisherige Trend gegen die Volksparteien hin zu Protestparteien und ins Nichtwählerlager nicht zwangsläufig ist. „Die Wähler zwischen Ems und Elbe haben die Weichen neu gestellt“, so infas.

Entscheidend für das Ergebnis der SPD war auch, daß es ihr gelang, die Masse ihrer Wähler von 1990 erneut an sich zu binden: 77 Prozent der jetzigen Wähler der SPD hatten sie auch schon das letzte Mal gewählt, acht Prozent stammen direkt von der CDU, und fast jeder zehnte kommt aus der Gruppe derjenigen, die das letzte Mal noch nicht wahlberechtigt waren beziehungsweise nicht an der Wahl teilgenommen hatten. Gerade auch in ihrer klassischen Stammwählerschaft, den gewerkschaftlich gebundenen Arbeitern, konnte sie fast zwei Drittel aller Stimmen auf sich vereinigen. dpa/taz