Mehr Hürden für Wohnungslose

■ Dringlichkeitsscheine werden wegen „selbstverschuldeter Wohnungsnot“ verweigert / Sind die Statistiken geschönt?

Roland S.* (21) konnte nach der Ableistung seines Wehrdienstes nicht mehr ins Elternhaus zurück. Sein Vater war schwer herzkrank geworden, mit seiner 17jährigen Schwester hätte er sich ein Zimmer teilen müssen. Als er beim Wohnungsamt einen „Dringlichkeitsschein“ beantragte, wurde ihm dieser verwehrt. Begründung: „Selbstverschuldete Wohnungsnot“.

Nicht besser erging es Heiner K. (34). Nach der Scheidung verließ er die gemeinsame Wohnung, kam erst bei seiner Mutter und später bei einem Freund zur Untermiete unter. Da dies ohne Einwilligung des Vermieters geschehen war, stand Heiner K. bald wieder auf der Straße. Einen Dringlichkeitsschein erhielt er trotzdem nicht, da die Wohnungsnot „selbstverschuldet“ sei.

Solch „restriktive Behördenpraxis schreckt Menschen ab und läßt sie resignieren“, klagt der „Arbeitskreis Wohnraumversorgung“ (AkWo) und vermutet Methode: „Die offizielle Statistik sieht dann nicht so besorgniserregend aus“.

Denn trotz zunehmender Wohnungsnot hat sich die Zahl der beantragten Dringlichkeitsscheine, die zum Bezug einer Sozialwohnung berechtigen, in den vergangenen Jahren offiziell kaum erhöht. Verringert hat sich hingegen die Zahl der DringlichkeitsscheininhaberInnen, die mit einer Wohnung versorgt wurden: Waren es 1989 noch 9317 Menschen, denen die Wohnungsämter eine Sozialwohnung zuweisen konnten, so sank ihre Zahl 1993 auf 6231.

Noch drastischer sieht es bei den Paragraph-5-Scheinen aus: 1987 wurden noch 46.437 von ihnen erteilt, 1992 hingegen nur noch 18.591. Und nicht einmal jedeR vierte Paragraph-5-Schein-InhaberIn konnte im vergangenen Jahr in eine freigewordene Sozialwohnung ziehen. (1987: 41,9 Prozent).

Der AkWo fordert jetzt die Baubehörde auf, die „Vergabe von Dringlichkeits-Scheinen neu zu regeln“. So müßten „die Kriterien zur Erlangung eines Dringlichkeitsscheins klar und eindeutig definiert“, „die Einschränkung Selbstverschulden abgeschafft“ werden.

Auch andere Hürden sollten fallen: So liegen im Gegensatz zu den Paragraph-5-Anträgen die Antragsformulare für Dringlichkeitsscheine auf den Wohnungsämtern nicht einmal öffentlich aus. Und AntragsstellerInnen, so berichtet der AkWo, werden von den Behörden nicht selten „ohne genaue Prüfung mit der Begründung weggeschickt, sie seien sowieso nicht berechtigt“. Und das, „obwohl sie erkennbar bedürftig sind“.

Marco Carini

*Namen geändert