Richard Nixon als Therapeut

■ Der US-Ex-Präsident will Rußlands Nationalisten verstehen

Moskau (taz) – Daß Präsident Jelzin das gemeinsame Treffen abgesagt habe, kränke ihn nicht: „Wahrscheinlich bin ich für so eine Reaktion schon zu alt“, erklärte Richard Nixon dem Moderator des russischen Fernsehens. Mit angemessener Liebenswürdigkeit lenkte der US-Ex-Präsident somit über den diplomatischen Mini- Skandal hinweg, das sein Treffen mit den gerade aus dem Lefortowo-Gefängnis entlassenen Aktivisten der blutigen Unruhen vom vorigen Oktober, Alexander Ruzkoi und Wiktor Ampilow, in Moskau ausgelöst hatte. Bei diesem war Nixon wie der Leiter einer Gruppentherapie aufgetreten: stets aufs äußerste bereit, sich in die Situation des Gegenübers zu versetzen. Und wie könnte der über Watergate gefallene einstige Präsident auch keine tiefste Affinität zu den gefallenen Engeln des Weißen Hauses an der Moskwa verspüren?

Nixon ist schon an die zehnmal in Moskau gewesen, auch Anfang 1991. Da traf er sich mit dem damaligen Vorsitzenden des russischen Obersten Sowjet, Boris Jelzin, obwohl im Hintergrund UdSSR-Präsident Gorbatschow abschreckend wütete und drohte, Nixon bekäme ihn selbst nicht zu sehen, falls er zu Jelzin ginge. Und wenn wir schon einmal bei der Opposition sind: Am 13. März vereinten sich etwa 150 Babuschkas und andere WiedergängerInnen kommunistischer Meetings zu einer ihrer traditionellen kräftigen Kundgebung am Gorki-Park. Das Meeting mit Plakaten „Jelzin ist ein blutiger Mörder“ verlief harmonisch ohne Zwischenfälle, bis der spazierengehende Nixon vorbeikam, in einer kurzen Ansprache den Kampf des russischen Volkes unterstützte und dann den Mütterchen Autogramme auf einige der genannten Plakate und Flugblätter mit der Losung „Es lebe die UdSSR“ kritzelte.

Nixon denkt eben nicht rachsüchtig, sondern vulgärstrukturalistisch, und da ist Oppositon gleich Opposition, und treffen muß man sich auch mit ihr. Ob Präsident Clinton auch so denkt? Der jedenfalls erklärte nach dem Skandal im amerikanischen Fernsehen, das Programm des Nixon-Besuches sei mit ihm abgestimmt gewesen, und er erhoffe sich von Nixon wichtige Erkenntnisse über die russische politische Szene.

Der Ex-Präsident hatte so am Montag Gelegenheit, seine therapeutischen Lektionen mit dem Duma-Vorsitzenden Rybkin und den Vorsitzenden verschiedener Parlaments-Komitees fortzusetzen. Dabei gab der amerikanische Präsident zu erkennen, daß er nichts von Nullsummenspielen hält: „Unrecht haben jene, die behaupten, der Kalte Krieg sei von den Vereinigten Staaten gewonnen und folglich von Rußland verloren worden. Gewonnen haben beide Seiten!“ Und für die russischen Patrioten hielt Nixon Honig bereit: Prorussische Stimmungen – so ließ er wissen – fasse er lediglich als Parteinahme für das russische und keineswegs als Feindseligkeiten gegen das amerikanische Volk auf. Heute trifft sich Nixon nun noch mit Wladimir Schirinowski. Ob er danach auch nichts mehr von Nullsummenspielen hält? Barbara Kerneck