Es geht um mehr als um Golan-Rückzug

Syriens Regime fürchtet die innenpolitischen Konsequenzen eines Friedens mit Israel / Wirtschaftsreformen eingeleitet – von politischem Wandel keine Rede  ■ Aus Damaskus Henry Heron

„Wir haben gar keine andere Wahl, als ein Friedensabkommen mit Israel abzuschließen.“ Widerwillen und Pragmatismus sprechen aus dem Satz des Funktionärs der syrischen Baath-Partei – eine Mischung, die das Verhältnis des syrischen Regimes zum Nahostfriedensprozeß kennzeichnet. „Die Frage ist nur, wer diesen Vertrag wann abschließen wird“, fügt er hinzu.

Trotz der absehbaren außenpolitischen und wirtschaftlichen Vorteile, die ein solcher Vertrag einbringen könnte, ist ein Friedensschluß mit Israel in Syrien keineswegs populär. Zu lange hat der „zionistische Feind“ in der Propaganda des Baath-Regimes unter Hafez Al-Assad als Sündenbock für alle möglichen innen- und außenpolitischen Mißlichkeiten herhalten müssen. Es war bequem für das Regime, sich im Zweifelsfalle auf den „Kriegszustand“ mit Israel herausreden zu können – egal ob es dabei um die Politik im Libanon oder die Unterversorgung mit den Gütern des täglichen Bedarfs ging.

Andererseits hatten die Syrer dieses Lamento schon länger satt. Und spätestens seit dem Zusammenbruch der Sowjetunion mußte man sich endgültig von dieser Politik verabschieden. „Seither blieb uns nur, die Beziehungen zum Westen zu verbessern“, resümiert der Funktionär. In der syrischen Außenpolitik hat man derzeit sichtlich Mühe, über die Wahl des jeweils kleineren Übels hinauszukommen und eigene Akzente zu setzen.

„Wir wären bereit, Frieden mit Israel zu schließen, wenn es sich von den Golan-Höhen zurückzuzieht“, erklärt der Funktionär. Aber das ist nicht die einzige Komplikation. Im Präsidentenpalast fürchtet man, daß es bei den Nahostgesprächen eben nicht nur um ein Friedensabkommen und einen Rückzug geht, so ein Politologe: „Unsere Politiker haben Angst, daß tiefgreifende Veränderungen im wirtschaftlichen und politischen System Syriens erforderlich sind, damit es zu einem Friedensschluß mit Israel kommen kann.“

Der Geheimdienst gilt als unverzichtbar

Gut informierte Personen in der syrischen Hauptstadt erklären, daß in den parallel zu den offiziellen Nahostgesprächen geführten Geheimverhandlungen mit Israel und den USA unter anderem die Bedingung gestellt wird, daß Syrien die Präsenz seiner Armee im Libanon – derzeit 400.000 Soldaten – drastisch reduziert.

Außerdem wird Abrüstung verlangt und eine Auflösung des weitverzweigten Geheimdienstes zugunsten eines „normalen“ Nachrichtendienstes. „Doch dieser Geheimdienst ist eine wichtige Stütze des Regimes“, sagt der Politologe. Das sind nicht die einzigen Forderungen, die Syrien erfüllen müßte, um in den Club der „Freunde des Westens“ aufgenommen zu werden. Da ist vor allem die Kritik am Ein-Mann-System, das zugunsten eines pluralistischen Systems aufgelöst werden soll. Und das „sozialistische“ Wirtschaftssystem müsse liberalisiert werden, signalisiert man Syrien.

Bislang gibt es relevante Veränderungen nur in Syriens Wirtschaft. Das Investitionsgesetz Nr. 10, im letzten Jahr verabschiedet, macht den Weg für private syrische und ausländische Investoren frei. Ein Großteil der Investoren gehört natürlich zur alten Garde der syrischen Politik. „Mit dem Vermögen, das sie in den Zeiten der Staatswirtschaft in die eigenen Taschen gewirtschaftet haben, wollen sie jetzt die Wirtschaft privatisieren“, spottet ein Wirtschaftsexperte. „Der Staatssektor ist ihnen mittlerweile schlicht zum Hindernis für die Anlage ihrer so gewonnenen Dollar-Millionen geworden. Darum wollen sie die staatliche Wirtschaft zerstören.“

Eine schnelle Änderung des politischen Systems ist hingegen kaum zu erwarten. „Demokratie würde entweder zu einem Sieg der Fundamentalisten führen wie in Algerien oder zu einem Chaos wie in Rußland“, sagt ein Berater des syrischen Präsidenten. Möglicherweise hat er recht. Aber was er nicht ausspricht, ist, daß dieser Umstand auf die jahrzehntelange gnadenlose Unterdrückung jeglicher Opposition zurückzuführen ist. Und dann sagt der Präsidentenberater, worum es ihm eigentlich geht: „Wir müssen eine langsame Veränderung des Systems einleiten. Dieser Wandel wird stets unter unserer Kontrolle bleiben.“