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Niedrige Löhne als Rezept

G 7 über Flexibilisierung des Arbeits- markts einig  ■ Aus Detroit Andrea Böhm

Die beiden Polizisten der Michigan State Police sollen eigentlich die Delegationen im Konferenzzentrum bewachen, doch bis auf weiteres gilt ihre Aufmerksamkeit einem ganz anderen Objekt. Mit höchst unautoritärem Gesichtsausdruck streichen sie andächtig mit den Fingerspitzen über den Kotflügel des spiegelblanken Ford-Mustang-Modells mit dem Kennzeichen „Mach 2“, den der Autokonzern in die Lobby gestellt hat. Autos made in the USA findet man in Detroit überall als Innendekoration, doch dieser Tage symbolisieren sie nicht mehr den Niedergang, sondern einen Aufschwung. Bei den „Drei Großen“, Chrysler, GM und Ford, werden Überstunden gefahren, Produktionszahlen, Produktivität und Profite zeigen seit zwei Jahren stetig nach oben.

Detroit als Tagungsort der G-7- Konferenz zum Thema Arbeitslosigkeit zu wählen war denn auch als Anerkennung für den amerikanischen Konjunkturaufschwung im allgemeinen und die Wiederauferstehung der Autoindustrie im besonderen gedacht. Doch gleichzeitig liegt die Stadt mit einer Arbeitslosenrate von elf Prozent weit über dem Landesdurchschnitt von 6,5 Prozent; die Autokonzerne verzeichnen zwar wachsende Absatzzahlen und Überstunden, stellen jedoch kaum neue ArbeiterInnen ein. Und der nagelneue Cadillac, den General Motors Detroits neuem Bürgermeister Dennis Archer überreicht hat, wurde in Arlington, Texas zusammengebaut, wo die Lohnkosten erheblich niedriger sind.

Womit die Thematik des Gipfels unter anderem durch den Tagungsort auf den Punkt gebracht wäre: Steigende Wachstums-und Produktivitätsraten ziehen im Produktionssektor keinen Beschäftigungsboom nach sich; die Arbeitslosenrate in den USA wird in erster Linie durch Niedriglohnjobs gesenkt. Niedrige Arbeitslosigkeit bei niedrigen Lohnstandards — mit diesem Motto wird auf der G- 7-Konferenz in Detroit die Situation der USA umschrieben. Hohe Arbeitslosigkeit und hohe Löhne werden hingegen aus Europa vermeldet. Selbst in Japan ist das Konzept des Arbeitsplatzes auf Lebenszeit ins Wanken geraten. Wachstum bei gleichzeitigem hohen Lohnstandard zu erzeugen, sei eines der größten Probleme der Ära nach Ende des Kalten Krieges, erklärte US-Präsident Bill Clinton, Initiator der G-7-Konferenz, in seiner Begrüßungsrede am Montag, und entließ daraufhin die Delegationen in die entsprechenden Arbeitsgruppen. Geradezu euphorisch zeigte sich nach den Sitzungen US-Vizepräsident Al Gore, der sich am „wichtigsten Wendepunkt im Dialog zwischen den industrialisierten Ländern nach Ende des Kalten Krieges“ wähnte. Das mag, wie so manches offizielle Statement in diesen Tagen, etwas pathetisch formuliert sein. Doch der Umstand, daß sich hier erstmals Finanz-, Wirtschafts- und Arbeitsminister zusammensetzten zu einem „ernsthaften Gespräch“ (O-Ton Clinton) zusammensetzten, hat durchaus historischen Wert.

Unüberhörbar waren die Lobeshymnen auf den Privatsektor und die Defizitbekämpfung — und der Abgesang auf staatliche Konjunkturprogramme. Der Staat, so US-Handelsminister Ron Brown, sei nur dazu da, den Weg ins Zeitalter neuer Technologien „freizuräumen“, womit unter anderem Schulung und Weiterbildung von ArbeitnehmerInnen und deren Vorbereitung auf einen umstrukturierten Arbeitsmarkt gemeint ist. Zwar war gerade Bill Clinton einst mit einem Wahlkampfprogramm angetreten, das manche an den „New Deal“ eines Franklin Roosevelt erinnerte, doch inzwischen präsentiert man in den USA stolz die Defizitbekämpfung und Niedrigzinspolitik als hilfreichste Instrumente zur Initiierung eines Wirtschaftsaufschwungs. In der der Frage der Zinspolitik, einem chronischen Streitpunkt zwischen Bundesbank und Bundesregierung auf der einen und amerikanischen und europäischen Regierungen auf der anderen, beließ es US- Finanzminister Lloyd Bentsen in Detroit bei dem Hinweis, man ermutige die Europäer, allen voran, die Deutschen, zu weiteren Zinssenkungen. Hinter verschlossenen Türen, so ein Mitglied der USA- Delegation, habe sich die deutsche Delegation jedoch nachdrücklich eine längere Debatte über das Thema verbeten. Und Finanzminister Theo Waigel hatte nach einer Unterredung mit Clinton und Bentsen versichert, es sei kein Druck im Hinblick auf weitere Zinssenkungen ausgeübt worden.

Dabei stand Detroit eigentlich unter dem Motto des Zuhörens und gegenseitigen Lernens, wenn auch die deutsche Delegation mit Finanzminister Theo Waigel (CSU), Wirtschaftsminister Günther Rexrodt (FDP) und Arbeitsminister Norbert Blüm (CDU) nach Kräften den Eindruck zu erwecken suchte, daß in Deutschland von seiten der Regierung alle Weichen zum Aufschwung aus der Wirtschaftskrise gestellt sind. Gerne griff vor allem Rexrodt die Schlagworte „Deregulierung“ und „Flexibilisierung des Arbeitsmarktes“ als Erfolgsrezepte aus den USA auf. US-Arbeitsminister Robert Reich reagierte auf so viel Zustimmung aus dem Munde von Finanz-und Wirtschaftsministern skeptisch. Manche, so Reich, verstünden unter dem Begriff der Flexibilisierung die Freiheit der Arbeitgeber, zu entlassen und die Löhne zu senken. Eine Vereinbarung über die Anhebung von Mindestlöhnen, die Integration von Arbeitnehmerrechten in multilaterale Handelsabkommen oder eine G-7-Arbeitsgruppe zum Thema Inflationsbekämpfung versus Wirtschaftswachstum — so lauteten die Vorschläge, die Wirtschaftsinstitute wie das „Economic Policy Institute“ vor Beginn der G- 7-Konferenz gemacht hatten. Entsprechende Beschlüsse waren von diesem ersten Treffen nicht zu erwarten. Aber in den Monaten bis zum G-7-Gipfel in Neapel wird sich vielleicht zeigen, ob man sich bei der Klärung der Begriffe etwas näher gekommen ist.

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