„Schmarotzer in den Lücken des Gesetzes“

■ Stolpe kann neue Indizien für seine Stasi-Auszeichnung nicht entkräften

Potsdam (taz) – Manfred Stolpe ist dünnhäutig geworden. Fünfmal mußte der brandenburgische Ministerpräsident vor dem Untersuchungsausschuß aussagen, kein einziges Mal ist es ihm dabei gelungen, den Vorwurf von intensiven Stasi-Kontakten nachhaltig zu entkräften. Kaum hat der frühere Konsistorialpräsident der Evangelischen Kirche in der DDR eine mehr oder weniger plausible Erklärung für seine vielfältigen konspirativen Stasi-Treffen gefunden, schon tauchen neue Unterlagen auf, die seine Aussagen in Zweifel ziehen. Jüngstes Beispiel sind die „Belegungsnachweise“ für eine Stasi-Villa, die den Kirchenmann Stolpe der Falschaussage im Zusammenhang mit der ihm 1978 verliehenen DDR-Verdienstmedaille vor dem Untersuchungsausschuß überführen könnten.

Am Montag abend, im Anschluß an die stundenlangen Vernehmungen der Stasi-Offiziere Joachim Wiegand und Klaus Roßberg, holt der Ministerpräsident zum verbalen Schlag gegen seine Widersacher aus. Die hat er bei den Medien verortet, insbesondere beim Spiegel und bei „Spiegel-TV“, weil diese in den vergangenen zwei Jahren immer wieder mit neuen Unterlagen über den IM „Sekretär“ aufwarteten. „Ich wundere mich“, empört sich der Zeuge in eigener Sache vor dem Ausschuß, „wie immer noch gewisse Sensationsmedien geradezu schmarotzen in den Lücken des Stasi-Unterlagengesetzes.“ Er geißelt den „Jagdeifer des Sensationsjournalismus“ und die „widerrechtliche Papierverwendung“.

Daß der Untersuchungsausschuß ihn erneut vorgeladen hat, stößt Stolpe bitter auf. „Unauslöschliche Vorurteile“ macht er beim Ausschußmitglied und Mitkoalitionär Günter Nooke aus – der hatte am Nachmittag öffentlich Stolpe einen Lügner gescholten und Konsequenzen für den Fall gefordert, daß die Gauck-Behörde die neu aufgetauchten Akten als echt bezeichnet.

In der Sache gibt sich Stolpe hart. Ausdrücklich bekräftigt er seine früheren Aussagen: „Es gibt keinen Deut daran zu ändern.“ Das heißt, die Verdienstmedaille der DDR will er 1978 vom Staatssekretär für Kirchenfragen, Hans Seigewasser, erhalten haben. Und keinesfalls, wie es die Stasi-Akten nahelegen, vom Ministerium für Staatssicherheit. Die Zeugen Roßberg und Wiegand, die den Vorgang aufklären könnten, widersprechen sich. Roßberg behauptet nach wie vor, er habe Stolpe am 21. November 1978 persönlich die Auszeichnung bei einer Feier im konspirativen Objekt „Wendenschloß“ überreicht. Wiegand dagegen stützt Stolpes Einlassungen, wonach die Verleihung vom Staatssekretariat für Kirchenfragen durchgeführt wurde. Einer der beiden muß lügen, und in diesem Zusammenhang ist die neu aufgefundene Belegungsliste ein starkes Indiz dafür, daß dies der frühere Leiter der Kirchenabteilung, Wiegand, sein könnte. Und damit ein Indiz auch dafür, daß der Ministerpräsident am 6. Dezember letzten Jahres vor dem Untersuchungsausschuß gelogen hat. Kategorisch hatte er damals ausgeschlossen, er könne am 21. November 1978 im „Wendenschloß“ gewesen sein.

Die Ausschußmitglieder Manfred Walter und Markus Vette (beide CDU) konfrontierten den Ministerpräsidenten mit einer ganzen Reihe von Unterlagen. Verfaßt wurden sie allesamt von den Führungsoffizieren Roßberg oder Wiegand, als Quellenangabe ist meist IM „Sekretär“ vermerkt. Roßberg und Wiegand hatten am Nachmittag bestätigt, daß sich hinter der Quellenangabe „Sekretär“ ihr Gesprächspartner Stolpe verbarg. Zugunsten ihres früheren Kontaktmannes hatten sie lediglich eingeräumt, in einigen Fällen auch Informationen anderer Inoffizieller Mitarbeiter in die dem „Sekretär“ zugeordneten Papiere eingearbeitet zu haben.

So heftig die Medienschelte Stolpes zu Beginn seiner Vernehmung auch ist, seine Kommentare zu den vorgehaltenen Akten fallen eher ausweichend aus. Er habe immer versucht, „Zuspitzungen im Lande, die in aller Regel zu Lasten der Menschen gingen, zu vermeiden“. Er habe immer frei entschieden, ob er Gespräche mit der Stasi führe oder nicht. Überzeugt ist er: „Für Informationen brauchte die Stasi mich nicht.“ Die Quellenangabe „Sekretär“ auf den Papieren heiße nicht automatisch Stolpe, der Name Sekretär sei lediglich auf die Papiere geschrieben worden, „um allerhöchste Aufmerksamkeit zu erregen“. Die Akten vor Augen, wiederholt er immer wieder: „Ich erkenne nicht, wo hier etwas von mir gekommen sein soll.“ Das jeweilige Treffen oder Gespräch kann er zwar „nicht ausschließen“, aber was die Stasi da zu Papier gebracht hat: „unschlüssig und unpassend, daß ich die Dinge so vorgetragen haben soll“. Wolfgang Gast

Kommentar auf Seite 10