: Verklebte Schlösser und zerschnittene Schläuche
■ Bewährungsstrafen gegen angebliche RAF-Sympathisanten im „Shell-Prozeß“
Aachen (taz) – „Wir leben in einer Zeit, in der man nicht mehr behaupten kann, daß sich die Götter gegen einen verschworen haben.“ So erkannte gestern der Vorsitzende Richter der Großen Strafkammer am Aachener Landgericht, kombinierte damit aus einer Kette von Zufällen eine Kette von Indizien gegen die Angeklagten Bernhard F. und Michael S. und konstruierte so seinen Schuldspruch: 11 und 12 Monate Freiheitsstrafe im „Aachener Shell- Prozeß“. Die beiden 26 und 27 Jahre alten Physik-Diplomanden wurden damit für schuldig befunden, im Januar 1992 in insgesamt fünf Shell-Tankstellen in Aachen und Hamburg aus politisch motivierten Gründen (Shells Südafrika-Connections) Dutzende Benzinschläuche durchschnitten, Schlösser verklebt und den Tatort mit einem Hinweis „fight racism, fight imperialism“ versehen zu haben. Gesamtschaden laut Shell: 45.000 Mark.
Nach Einschätzung von Prozeßbeobachtern war die Beweislage sehr dürftig. Waren F. und S. überhaupt Mitwissende, geschweige denn Mitwirkende der Anschläge? Aber schon die Entdeckung von Wolfgang-Grams-Plakaten, ein Bild von Ulrike Meinhof auf einem Nachttisch und Ordner über politische Gefangene in der BRD („umfangreiches terroristisches Schriftgut“) wurden aktenkundig und beschlagnahmt.
Im Prozeß sprachen die VerteidigerInnen von „Gesinnungsjustiz“. Diverse Beweisversuche im Vorfeld waren ohnehin fehlgeschlagen, andere verliefen grotesk. So erkannte eine Zeugin bei zwei polizeilichen Vernehmungen die vermeintlichen Täter nicht wieder, obwohl ihr eine Lichtbildermappe mit 24 Fotos gezeigt wurde, von denen peinlicherweise die beiden Inkriminierten die einzigen Brillenträger waren.
Der Richter verkündete eine dreijährige Bewährung – und eine langatmige Belehrung: Besonders verwerflich fand er es, daß „Täter mit dieser Schulbildung“ mit ihren „böswilligen Verwüstungen“ Konzernherren treffen wollten, in Wahrheit aber nur „den einfachen Leuten, den Tankstellenpächtern“, geschadet hätten: „Betrüblich, beschämend, erbärmlich!“
Nur eine Erklärung gaben die Angeklagten zu Beginn der sieben Verhandlungstage ab: Nach zwei Jahren intensiver Hausdurchsuchungen, Befragungen von Eltern und MitstudentInnen, Bespitzelungen und verschwundener Post sei – „wenn wir in unserer antagonistischen Subjektivität überleben“ wollen, „keine Kommunikation mit Unterdrückungsinstrumenten“ wie Bullen, Staatsanwälten und Richtern möglich.
Bernhard F. meinte nach dem Schuldspruch (Revision ist geplant): „Die Tür können sie mir eintreten, aber an mein politisches Bewußtsein kommen sie nicht heran.“ Seine Grams-Plakate bekam F. immerhin kürzlich zurück – per Post, mit der Aufschrift „Bitte nicht knicken“.
Bernd Müllender
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