Die FDP und das Gespenst der Entbehrlichkeit

■ Die Liberalen und ihr Debakel nach der Niedersachsenwahl

Bonn (taz) – Am Tag nach dem Debakel von Niedersachsen sprach Klaus Kinkel seiner Partei und sich selbst Mut zu: „Ich lege mich nicht ins Bett und weine“, versicherte er öffentlich. Statt einer Strategie für die bevorstehenden Wahlkämpfe aber bot der Parteichef nur Platitüden: „Die Politik ist ein Auf und Ab. Man braucht Nerven. Auch ich als Parteivorsitzender.“ Das sah man ihm an.

Nach einem Vierteljahrhundert ununterbrochener Regierungsbeteiligung kämpfen die Überlebenskünstler wieder mit einer Existenzkrise. Mit 4,4 Prozent hätte der Auftakt des Superwahljahres nicht schlimmer ausfallen können – aber das gilt manchem Liberalen als „sehr ehrlicher Wert“. Und der nächsten Bewährungsprobe sehen viele nicht eben optimistisch entgegen: „Beim Thema Europa-Wahlkampf wird jedem angst und bange.“

Nicht nur das Ergebnis, auch die Analyse des Niedersachsen-Ergebnisses schockiert die FDP. Denn die Liberalen haben bei den Landtagswahlen offensichtlich ihre Rolle als „Korrektiv“ verloren. Bislang stimmten Wählerinnen und Wähler aus dem FDP- Umfeld häufig für den Direktkandidaten der großen Parteien und gaben der FDP die Zweitstimme, damit die großen Partner nicht zu übermütig würde. In Hannover aber wurden in vielen Wahlkreisen mehr Erst- als Zweitstimmen für die FDP gezählt. Aus dieser Tatsache, so hieß es in den Beratungen der Führungsmannschaft, müßten Konsequenzen für die Bundespartei gezogen werden.

Die Frage ist nur, welche. Kinkel beschrieb die Aufgabe der FDP als „Spagat“. Einerseits muß sich die Partei zur angeschlagenen Koalition bekennen, auf der anderen Seite muß sie ihr eigenes Profil schärfen. Aus dem Spagat darf sich die Partei aus wahltaktischen Gründen nicht zu früh lösen. Zwar spricht Kinkel intern gar von „Treue“ zum Regierungspartner, aber eine offizielle Koalitionsaussage wollen die Liberalen nicht vor Juli präsentieren.

Nicht nur Linksliberale verlangen nun mehr Eigenständigkeit, wollen Streit in der Koalition riskieren, um Profil zu gewinnen. Aber abgesehen vom Thema „Innere Sicherheit“ gibt es kaum mehr strittige Vorhaben, bei deren Behandlung sich die FDP profilieren könnte. Und CDU-Innenminister Manfred Kanther ist auch nicht der Gegner, den sich die Liberalen wünschen: „Der Kanther gibt nach und taugt damit nicht zum Feindbild“, klagt ein FDP- Mann.

Mit dem wichtigen Thema Arbeitsmarktpolitik tut sich die Partei schwer, die sich in der Regierung jahrzehntelang als bloßer wirtschaftspolitischer Interessenvertreter geführt hat. Wähler aus dem leistungsorientierten Mittelstand werden durch Kompromisse in Bonn vergrault. Viele Liberale sind überzeugt, daß die Zustimmung zur Pflegeversicherung der Partei in Niedersachsen „den Rest“ gegeben habe.

Zudem muß sich auch der Koalitionspartner auf dem Feld der Arbeitsmarktpolitik beweisen. Mittlerweile fordern CDU-Politiker öffentlich, nach einem Wahlsieg im Oktober das Wirtschaftsministerium mit einem Christdemokraten zu besetzen.

Der gegenwärtige FDP-Chef ist zudem alles andere als ein mit allen Wassern gewaschener Parteipolitiker. Eine Absprungsdrohung seiner FDP gegen die Regierung würden CDU-Politiker nicht ernst nehmen. Sie sind sicher, daß die Partei des Juniorpartners dann auseinanderbrechen würde. Nur mit einer Führungspersönlichkeit wie Genscher, so rechnen die Unionsstrategen, konnte die FDP ein Manöver wie die Wende 1982 überstehen. Als schwache Führungsperson gibt Kinkel eine ideale Zielscheibe für Querschüsse von geltungssüchtigen Parteifreunden ab – etwa für den Nordrhein-Westfalen Jürgen Möllemann, der schon erklärt hat, er werde sich auf dem Parteitag in Rostock im Juni möglicherweise um einen Präsidiumssitz bewerben. Hans Monath