Noch etwas scheu

■ Alissa Walser las im Literaturhaus

Scheu erhob sich am Dienstag abend eine Stimme über den bis zum letzten Platz besetzten Saal des Literaturhauses. Die 1961 geborene Autorin und Malerin Alissa Walser las aus ihrem ersten Buch, dem soeben erschienenen Prosaband Dies ist nicht meine ganze Geschichte die zwei Geschichten „Geschenkt“ und „Die Sonnenbrille“.

Zwischen Gefühl und Erinnerung wechselnd schildert „Geschenkt“ ein Telefongepräch einer erwachsenen Tochter mit ihrem Vater. Die Ich-Erzählerin berichtet dem Vater von ihrem Treffen mit einem Callboy, den sie sich von seinem Geburtstagsgeld geleistet hat. „Die Sonnenbrille“ erzählt vom Besuch bei einem Visagisten, der die Erzählerin für einen Werbefoto-Termin zurechtmacht, vor dem sie schließlich wegläuft.

In Variationen thematisieren die kurzen Geschichten die altbekannte Suche einer jungen Frau nach Zuneigung, Abgrenzung, Eigenständigkeit und Erfüllung. Doch wirkt die traditionelle Beschreibung innerer Befindlichkeiten mitunter ein wenig mühselig. Der Kulturjournalist Wilfried Schoeller betonte in der Einführung die Wichtigkeit des Wortes ,Ich' und des visuellen Gesichtspunktes in Walsers Texten. Die Malerin Alissa Walser sei in der Erzählerin immer mit enthalten. Walser berichtete, sie habe mindestens zehn Variationen einer Geschichte in der Schublade und entscheide sich dann „für ein Ende, daß ich ertragen kann“. „Empfinden Sie es nicht als Verlust, sich entscheiden zu müssen?“ fragte Schoeller darauf, während das Publikum unruhig wurde. „Banales Geschwätz“, war aus einer Ecke des Saales zu hören. Andere Bemerkungen bezogen sich mehr oder minder heftig auf die Gesprächsführung, und Walsers Texte ließ man dabei außen vor. Die Autorin hielt sich in dem Trubel ganz zurück. Vielleicht dachte sie über eine neue Erzählung nach über das Thema „Streitkultur im Literaturhaus“.

Simone Ohliger

Alissa Walser, „Dies ist nicht meine ganze Geschichte“, Rowohlt-Verlag 26 Mark